Donnerstag, 3. Juli 2014

Vierter Sonntag nach Pfingsten - Predigt vom hl. Thomas von Aquin

Zweite Rede 

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Luk 6, 36. (*Dieser Text findet sich nicht im Evanhgelium)

Der Herr sagt mit diesen Worten zweierlei; zuerst fordert er zur Barmherzigkeit auf mit den Worten: Seid barmherzig; zweitens gibt er die Regel der Erbarmung an, wenn er sagt: Wie euer Vater barmherzig ist. In Bezug auf den ersten Punkt ist zu bemerken, daß wir vorzüglich aus drei Gründen barmherzig sein sollen. Zuerst wegen der Nothwendigkeit; zweitens wegen des Nutzens und drittens wegen der Billigkeit.


Die Nothwendigkeit besteht darin, daß der welcher keine Erbarmung hat, auch keine Barmherzigkeit findet. Darum sagt der Apostel Jacobus (2.): Ein Gericht ohne Erbarmung steht dem bevor, welcher keine Erbarmung hat. Der Nutzen besteht darin, daß der, welcher barmherzig ist auch Barmherzigkeit erlangt. Darum sagt Christus (Matth. 5.): Selig die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Die Billigkeit besteht darin, daß, weil wir von andern Geschöpfen Erbarmen erlangen, es vollkommen entsprechend ist, daß wir gegen Andere barmherzig seien. Denn wir sind voller Elend und würden sich unser die Gefchöpfe nicht erbarmen und sich und ihre Wohlthaten uns hingeben, so könnten wir nicht bestehen. Denn wenn die Sonne oder das Feuer seinen Glanz und seine Wärme uns entzöge, die Erde ihre Früchte uns verweigerte, was würde der arme Mensch thun? Es ist also ganz billig, daß der Mensch, weil er der Barmherzigkeit bedarf, auch gegen Andere barmherzig sei. In den Sprichwörtern (19.) steht geschrieben: Ein dürftiger Mensch ist mitleidig. Wer also Erbarmung bedarf, muß gegen Andere barmherzig sein und darum klagen die Geschöpfe gewissermaßen die Unbarmherzigen an.
 In Bezug auf den zweiten Punkt ist zu bemerken, daß sich die Erbarmung Gottes vorzüglich in drei Stücken zeigt. Zuerst darin, daß er uns seinen Sohn schenkte; es war ein großes Geschenk, eine große Barmherzigkeit wovon das Evangelium (Luc. 1.) sagt: Um gegen unsere Väter barmherzig zu sein. Zweitens in der Verherrlichung der Gerechten. Der Psalmist (85.) sagt: Deine Erbarmung, o Herr, ist groß gegen mich. Wegen der ersten Erbarmung müssen wir ihn loben und lieben; wegen der zweiten müssen wir mit Vertrauen, obwohl wir große Sünder sind zu Gott unsere Zuflucht nehmen. Darum sagt der Prophet (Jsai. 55.): Der Gottlose verlasse seinen Weg und der Sünder seine Gedanken, und bekehre sich zum Herrn und er wird sich seiner erbarmem, und zu unserm Gott, weil er reich ist im Vergeben. Wegen der dritten Erbarmung müssen wir sogleich zu Gott eilen, wie der Apostel sagt (Hebr. 4.): Eilen wir, in jene Ruhe einzutreten.
 Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge (Luc. 6.); so verdammt der Herr die Sünde der Heuchelei, und er thut dieß im Evangelium öfter, als bei andern Sünden. Daraus erhellt deutlich, daß es ihm sehr mißfällt, und darum muß sie Jedermann fliehen. Aber diese Heuchelei soll man wegen mehrerer Uebel die daraus hervorgehen fliehen. Zuerst entspringt daraus eine große Schuld; zweitens eine große Strafe; drittens ein großer Schaden. (Siehe die Predigt auf das Fest des heiligen Hippolit.)

Vierter Sonntag nach Pfingsten -1. Rede

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