Montag, 19. Mai 2014

Fünfter Sonntag nach Ostern - Predigt vom hl. Thomas von Aquin

Erste Rede


 Wenn Jemand fromm zu sein glaubt, aber seine Zunge nicht bezähmt, sondern sein Herz täuscht, dessen Frömmigkeit ist nichtig. Jac. 1,26

 Mit diesen Worten ermahnt der heilige Apostel Jacobus zur Bezähmung der Zunge. Es sind aber drei Gründe, welche uns zur Bezähmung der Zunge bewegen sollen Zuerst, weil der, welcher seine Zunge nicht bezähmt in viele Sünden fällt. Zweitens, weil er sich viele Strafen zuzieht; drittens weil der welcher seine Zunge bezähmt sich viele Güter erwirbt. Vom ersten sagen die Sprüche (10.) Bei dem vielen Reden fehlt es an der Sünde nicht; vom zweiten das Buch Jesus Sirach (20.): Wer viel redet beleidigt seine Seele. Vom dritten die Sprichwörter (18.): Wer antwortet ehe er hört, zeigt, daß er ein Thor ist


In Bezug auf den ersten Punkt ist zu bemerken, daß die Schrift von vielen Zungen spricht, worunter man die verschiedenen Sünden versteht, welche man mit der Zunge begeht, und solche Zungen soll man im Zaume halten. Die erste Zunge ist die trügerische, welche in Zweizüngkett und Verräthern ist. Der Psalmist (119.) sagt: Befreie mich von der trügerischen Zunge. Der Prophet (Jerem. 9.) sagt: Verwundende Pfeile sind ihre Zungen, die Falsches reden, denn mit ihrem Munde reden sie friedlich zu ihrem Freunde und im Geheimen stellen sie ihm nach. Die zweite ist die großsprecherische Zunge, welche in den Stolzen und Anmaßenden ist. Der Psalmist (11.) sagt: Der Herr vertilge alle trügerischen Lippen und eine großsprecherische Zunge. Die dritte ist die Schlangen und giftige Zunge, welche in Neidischen und Verleumdern ist. Darum sagt die Schrift (Ps. 139.): Sie spitzten ihre Zungen wie Schlangen, scharfes Gift ist unter ihren Lippen. Die vierte ist die lügnerische Zunge in den Meineidigen und Lügnern und falschen Zeugen. Die Sprichwörter (16.) sagen: Sechs Dinge haßt der Herr, stolze Augen und eine lügenhafte Zunge. Die fünfte ist die schmeichelnde Zunge, welche in den Liignern ist. Darum warnt die Schrift (Sprichw. 6.): Daß du dich hütest vor einem bösen Weibe und vor der schmeichellhaften Zunge einer Fremden. Die sechste ist die dritte Zunge, welche bei Unterhändlern ist. Darum sagt die Schrift (Eccli. 28.): Die dritte Zunge hat wadere Weiber vertrieben und sie ihrer Arbeit beraubt. Die erste Zunge im Werke der Wollust ist die des Mannes, der das Weib liebt, die zweite die des geliebten Weibes, die dritte ist die des Unterhändlers oder Kupplers. Die siebente ist die gottlose Zunge, welche in den Schmeichlern ist. Die Sprichwörter (17.) sagen: Der Böse gehorcht der gottlosen Zunge. Die gottlose Zunge ist, wenn man Böses thut auf die Anreizung der Schmeichler. Die achte ist die Zunge des Schwertes, welche in Zornigen und Wüthenden ist, welche durch Lästerung und Verwünschung Viele tödten. Der Psalmist (56.) sagt: Die Zähne der Menschenkinder sind Waffen und Pfeile und ihre Zunge ein scharfes Schwert. Die neunte Zunge ist die falsche, welche in den gottlosen Kaufleuten und Betrügern ist, die den Einfältigen hintergehen und ihre Waare sehr hoch anschlagen oder durch falsches Gewicht, falsche Rechnung und falsches Maaß täuschen. Darum sagen die Sprichwörter (26.): Eine falsche Zunge liebt nicht die Wahrheit, d.h. Christus, und ein glatter Mund bewirkt Verderben; nämlich an Leib und Seele; und wiederum (21.) Wer sich durch eine lügenhafte Zunge Schätze sammelt, ist eitel und herzlos, d.h. ohne Herz und Bescheidenheit, und stürzt in die Schlingen des Todes. Die zehnte ist die lästernde Zunge, welche in denen ist, die Gott und seine Heiligen lästern. Die elfte ist die lieblose und ungezogene Zunge, welche in Spöttern und Verhöhnern ist, die gerne müßige Worte reden. Darum sagt die Schrift (Eccli. 20.): Ein ungezogener Mensch ist wie eine fade Erzählung.

 In Bezug auf den zweiten Punkt ist zu bemerken, daß der Mensch welcher seine Zunge nicht beherrscht sich viele Strafen zuzieht. Die erste ist das Verderben wie die Sprichwörter (12.) sagen: Wegen der Sünden der Lippen steht dem Bösen Verderben bevor; und der Prediger (10.) sagt: Die Lippen des Thoren richten ihn zu Grunde. Die zweite ist, weil er in diesem Leben kein Glück haben kann. Der Psalmist (139.) sagt: Dem Manne von böser Zunge geht es nicht wohl auf der Erde. Die dritte ist die Mühe und die vierte der Trug, wie es in den Psalmen (10.) heißt: Unter ihrer Zunge ist Mühe und Trug. Die fünfte ist der schmachvolle Untergang des Menschen; die sechste der Verlust des ewigen Lebens. In den Psalmen (51.) heißt es: Du liebtest alle verderblichen Worte, betrügerische Zunge! darum wird dich Gott völlig verderben. Die siebente ist die Vertrocknung der bösen Zunge, wie Isaias (41.) sagt: Ihre Zunge entbrannte in Durst. Die achte ist endlich die Peinigung der bösen Zunge im ewigen Feuer. Im Evangelium (Luc. 16.) sagt der reiche Prasser in der Hölle: Sende den Lazarus, daß er mit der Spitze seines Fingers in das Wasser tauche und meine Zunge erfrische. Die neunte ist die Verzehrung der Zunge. Die Offenbarung (16.) sagt: Aus Schmerz werden sie ihre Zungen verzehren. Die zehnte ist der ewige Tod. Die Sprichwörter (18.) sagen: Tod und Leben ist in der Hand der Zunge, d.h. im Werke oder in den Werken der Zunge. Wer seine Zunge bezähmt, wird das ewige Leben haben, wer nicht, wird den ewigen Tod haben. Die elfte er wird jedes Uebel fühlen. Die Schrift (Sprichw. 17.) sagt: Wer seine Worte verdreht (nämlich das Schwarze ins Weiße) fällt in Unglück (nämlich in dieHölle),  und wiederum (Sprichw. 13.): Wer seinen Mund hütet bewahrt seine Seele, wer aber unüberlegt redet wird Uebles zu erfahren haben

In Bezug auf den dritten Punkt ist zu bemerken, daß viel Gutes aus der Bezähmung der Zunge entsteht. Das erste isft die Vollkommenheit des Lebens, wie der Apostel Jacobus (3.) sagt: Wer in der Rede nicht anstößt, dieser ist ein vollkommener Mann. Das zweite ist die Erhebung der Seele zu Gott, wie die Schrift (Klagelied 3.) sagt: Er wird einsam sitzen und schweigen. Das dritte ist die Erlangung des ewigen Lebens, indem der Psalmist (33.) sagt: Welcher Mensch will nicht das Leben und gute Tage sehen? Bezähme deine Zunge vor dem Bösen.


2. Rede
3. und 4. Rede

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