Dienstag, 29. April 2014

Weißer Sonntag - Auslegung des heiligen Papstes Gregor - Joh. 20,19-31 (Brevier)

Die erste Frage, die nach der Lesung dieses Evangeliums unseren Geist beschäftigen, ist diese: Wie konnte der Leib unseres Herrn nach der Auferstehung ein wirklicher Leib sein, da er durch verschlossene Türen zu seinen Jüngern kommen konnte? Aber man muss bedenken, daß das Wirken Gottes nichts Wunderbares mehr an sich hat, wenn man es mit der Vernunft begreifen kann, und daß der Glaube kein Verdienst mehr hat, wenn ihm die menschliche Vernunft erst die Bestätigung gibt. Aber diese Taten unseres Erlösers, die an sich unbegreiflich sind, sind nach seiner sonstigen Tätigkeit zu beurteilen; den staunenswerten Tatsachen sollen andere noch staunenswertere Glaubwürdigkeit verschaffen. Der Leib des Herrn kann durch verschlossene Türen zu seinen Jüngern, derselbe Leib, der bei seiner Geburt aus dem verschlossenen Schoße der Jungfrau hervorging und den Augen der Menschen sich zeigte. Was Wunder also, wenn er nach seiner Auferstehung, da er ewig leben wollte, durch verschlossene Türen ging, nachdem er schon bei seiner Geburt, als er kam, den Tod zu erleiden, aus dem uneröffnete Schoße der Jungfrau hervorging? Weil aber gegenüber diesem Leibe, obwohl er sichtbar war, der Glaube der Zuschauer noch Zweifel hegte, darum zeigte er ihnen sogleich seine Hände und seine Seite und ließ den Leib, mit dem er durch die verschlossenen Türen gekommen war, betasten. Hierbei zeigte er 2 wunderbare und nach menschlichem Urteil ganz entgegengesetzte Tatsachen, daß nämlich sein Leib nach der Auferstehung unverweslich und doch auch befühlbar war. Was befühlbar ist, das müsste eigentlich auch verwesbar sein; was aber unverweslich ist, das kann nicht betastet werden. Unser Erlöser aber zeigte, daß auf eine ganz wunderbare und unfaßbare Weise nach seiner Auferstehung sein Leib unverweslich und doch befühlbar war. Da er seine Unverweslichkeit zeigte, wollte er uns zum Lohne einladen; da er ihn zum Betasten anbot, wollte er unseren Glauben stärken. Er bewies also, daß er unverweslich und betastbar war, sicherlich um zu zeigen, daß sein Leib nach der Auferstehung noch dieselbe Natur, aber eine andere Würde hatte. Er sprach zu ihnen: Friede sei mit euch. Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch, d. h. wie Gott, der Vater, mich, der ich auch Gott bin, gesandt hat, so sende ich, ein Mensch, euch Menschen. Der Vater hat den Sohn gesandt und wollte, daß er zur Erlösung des menschlichen Geschlechtes, Mensch werde. Und er wollte, daß er in die Welt komme, um zu leiden; dennoch liebte er den Sohn, obwohl er ihn zum Leiden sandte. Ebenso sandte auch der Herr seine auserwählten Apostel nicht zu den Freuden der Welt, sondern er sandte sie, so wie er selbst gesandt war, in diese Welt, um zu leiden. So wie also der Sohn vom Vater geliebt und dennoch zum Leiden geschickt wurde, so wurden auch die Jünger vom Herrn geliebt und dennoch zum Leiden in die Welt gesandt. Daher heißt es richtig: Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch zu den Quälereien der Verfolger aussende, so umfasse ich euch mit derselben Liebe, mit der mein Vater mich liebte, da er mich in die Welt kommen hieß, um Leiden zu erdulden.

aus dem Deutschen Brevier übersetzt von Dr. Johann Schenk 1937

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