Samstag, 18. Januar 2014

Sonntag Quinquagesima - Predigt vom Hl. Thomas von Aquin

Zweite Rede


Ein Blinder saß am Wege Luc. 18, 35.

Im moralischen Sinne versteht man unter diesem Blinden den Sünder. Daher heißt es (Soph. 1.) Sie wandeln wie die Blinden, weil sie gegen den Herrn gesündiget haben." Denn wie der Blinde körperlich nicht sieht, so sieht der Sünder geistiger Weise nicht. Es sind aber sieben Dinge, welche die leibliche Anschauung verhindern und die sieben Todsünden bezeichnen, welche geistiger Weise tödten. Das erste ist ein zu aufgedunsenes Gesich,t und dieß ist der Stolz. Der heilige Augustin sagt: "Mein zu aufgeblasenes Gesicht läßt mich nicht sehen." Das zweite ist das Dunkel der Luft; dieß ist der Neid. Darum heißt der Neidige in der lateinischen Sprache der Nichtsehende (lnvidus - non videns). Die Weisheit (2.) sagt: "Es blendete sie ihre Bosheit." Es heißt von den neidischen Juden und von Saul (1. Kön. 18.): "Saul sah David schon nicht mehr mit geraden Augen an." Das dritte ist die Verwirrung der Augen; dieß ist der Zorn. Der Psalmist (30.) sagt: "Es verwirrte sich im Zorne mein Auge, meine Seele und mein Bauch." Das vierte ist das Dazwischen liegen eines Staubes oder eines rauhen Gegenstandes. Der heilige Augustin sagt: "Ich zerfloß in dem Zeitlichen und wurde blind." Das fünfte ist das Schließen der Augen; denn wenn Jemand die Augen schließt oder die Augen nicht öffnen will, sieht er nicht. Dieß ist die Trägheit. Denn der Träge kann aus der bloßen Trägheit die geistigen Augen zu öffnen, die geistigen Güter nicht sehen. Boethius sagt: "Sie können ihre an die Finsterniß gewohnten Augen nicht zum Lichte der Wahrheit erheben und sind den Vögeln ähnlich, deren Licht die Nacht verursacht, aber der Tag tödtet." Das sechste ist die Anschwellung des Blutes und der Feuchtigkeit um die Augen. Dieß ist die Unmäßigkeit. Die Sprichwörter (23.) sagen: "Wer hat Weh? Wessen Vater hat Weh? Wer hat Zank? Wer fällt in Gruben? Wer hat Wunden ohne Ursache? Wer hat trübe Augen? Nicht die welche beim Weine verweilen, und sich darauf legen, Becher zu leeren?" Buchstäblich verfinstert auch zu vieles Trinken des Weines die geistigen und körperlichen Augen. Das siebente die Verdunklung durch ein Tuch; oft entsteht im Auge ein Wölkchen, und der Mensch wird blind. Dieses geschieht durch die Unkeuschheit. Der heilige Augustin sagt: "Es entstanden Wölkchen von der schlammigen Begierlichkeit des Fleisches, und verdunkelten und verfinsterten mein Herz, so daß die Reinheit der Liebe von der Schwärze der Luft nicht unterschieden wurde."
Wie es sieben Dinge gibt, die die Seele verfinstern, so gibt es sieben, welche sie erleuchten. Das erste ist der Glaube. Das Evangelium (Luc. 18.) sagt: "Sieh dein Glaube hat dich gesund gemacht." Und der heilige Augustin sagt: Der Glaube ist das Licht der Seele, wodurch sie zuerst erleuchtet wird, um die geistigen Güter zu sehen." Das zweite ist die Demuth. Christus sagt (Joh. 9.): "Ich bin dazu zum Gerichte in diese Welt gekommen, damit die, welche nicht sehen, sehen," d.h. die welche nicht zu sehen glauben, d.h. die Demüthigen. Das dritte ist die Bitterkeit der Buße. Tobias (6.) sagt: "Die Galle ist gut zur Augensalbe in denen ein weißer Fleck ist, und sie werden gesund." Die Galle aber bezeichnet die Bitterkeit. Das vierte ist die Liebe des Nächsten. Es heißt (Offenb. 3.): "Mit der Salbe bestreiche deine Augen, damit du sehest." Das fünfte ift die Fülle der Thränen, dieß erprobte sich bei dem Blindgebornen, der seine Augen im Schwemmteiche Siloe wusch, was der Gesandte heißt. Er ging also, wusch es und kam sehend. "Gehe in den Schwemmteich Siloe," sagt die Schrift (Joh. 9.) Das sechfte ist das bemüthige Gebet. Das Evangelium sagt von den Blinden (Matth. 20.): "Und sie riefen und sagten: Herr erbarme dich unser, Sohn Davids. Jesus erbarmte sich, berührte ihre Augen, und sie sahen sogleich." Das siebente ist die demüthige Anhörung der heiligen Schrift. Isaias (20.) sagt: An jenem Tage werden die Tauben die Worte des bezeichneten Buches anhören, und die Augen der Blinden werden sehen."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen