Montag, 11. November 2013

Zweiundzwanzigster Sonntag nach Pfingsten - Predigt vom Hl. Thomas von Aquin

Zweite Rede 

Das Himmelreich gleicht einem Manne, der mit seinen Knechten Rechenschaft machen wollte. Matth. 18, 23. (gewöhnlich für den letzten Sonntag)

Diese Rechenschaft muß der Mensch am Gerichtstage ablegen, und darum jetzt täglich daran denken, und zwar muß er überlegen zuerst die Schwierigkeit, Rechenschaft abzulegen; zweitens die Wahrhaftigkeit der Zeugen, welche anwesend sind; drittens den strengen Richterspruch über die, welche eine böse Rechenschaft abgelegt haben. (siehe den Zehnten Sonntag nach Pfingsten)

Dritte Rede 

Sein erzürnter Herr gab ihn den Peinigern bis er die ganze Schuld bezahlte. Matth. 18, 34.



Im moralischen Sinne versteht man unter diesem Knechte jeden Sünder, über den der Herr im Gerichte zürnt und den er dem ewigen Feuer übergeben wird. Darum liegt in diesen Worten dreierlei; zuerst die gerechte Erbitterung Gottes gegen die Gottlosen. "Der erzürnte Herr." Zweitens die harte Bestrafung der Sünder. Er übergab ihn den Peinigern." Drittens die Dauer jener Strafe. "Bis er die ganze Schuld bezahlte."

 In Bezug auf den ersten Punkt ist zu bemerken, daß es vier Gattungen von Menschen gibt, über welche Gott beim Gerichte zürnen wird. Zuerft gegen Jene, welche das Gesetz Gottes verachten. Isaias (5.) sagt: "Denn sie warfen das Gesetz des Herrn der Heerschaaren ab und lästerten das Wort des heiligen Israel; darum entbrannte der Zorn des Herrn gegen sein Volk und er streckte seine Hand darüber aus, schlug sie und es erbebten die Berge und sie fielen wie der Koth mitten auf der Straße." Zweitens wird er gegen Jene zürnen, die in den Sünden bis an das Ende ausharren. Der Prophet (Isai. 64.) sagt: "Sieh, du bist erzürtnet, und wir sündigten, und darin waren wir immer und werden gerettet werden." Drittens gegen Jene, welche zeitliche Schätze mißbrauchen. Es heißt (Zach. 1.) "Ich werde über die reichen Völker zürnen." Viertens gegen Jene, welche mit den Nächsten kein Mitleiden haben, wie der Apostel Jacobus (2.) sagt: "Ein Urtheil ohne Erbarmung erfährt der, welcher nicht Mitleid erweisen wollte; aber die Erbarmung übertrifft das Gericht." Dieß kann man an diesem Knechte abnehmen, welcher sich über seinen Mitknecht nicht erbarmen wollte.

 In Bezug auf den zweiten Punkt ist zu bemerken, daß der Sünder von vier Peinigern gequält werden wird. Zuerst von Gott, worauf das Evangelium (Matth. 8.) hindeutet: "Und als er über den See in das Gebiet der Gerasener gekommen war, begegneten ihm zwei Besessene, die von den Gräbern herauskamen und sehr wüthend waren, so daß Niemand über jenen Weg gehen konnte. Sie riefen aus und sprachen: Was haben wir mit dir zu schaffen, Sohn Gottes? Du kamst vor der Zeit uns zu quälen. Aber nicht ferne von ihnen war die Heerde vieler Schweinhirten." Zweitens von dem Gewissen wie der heilige Augustin sagt: "Du befahlst es, o Herr, und so ist es, daß jedes unordentliche Gemüth sich selbst zur Strafe ist." Drittens von dem ewigen Tode. Darum werden die Worte der Weisheit (3.): "Sie ergreift nicht die Qual des Todes," von den Heiligen gesprochen. Und der reiche Prasser (Luc. 16.) sagte: "Ich bitte dich, Vater, sende ihn doch in das Haus meines Vaters; denn ich habe fünf Brüder, daß er es ihnen bezeuge, damit sie nicht auch in diesen Ort der Qual kommen." Viertens von jeder Kreatur wie dieWeisheit (16.) sagt: "Das Geschöpf, das dir als seinem Schöpfer dient, entbrennt zur Qual gegen die Ungerechten und spendet denen leichter die Wohlthaten, welche auf dich vertrauen."

 In Bezug auf den dritten Punkt ist zu bemerken, daß sie eine vierfache Schuld bezahlen müssen nach den vier Gütern, die er uns gab. Zuerst gab er uns die Welt mit den Geschöpfen. "Alles unterwarfst du zu seinen Füßen," heißt es (Ps. 9.) Zweitens den Leib mit den Sinnen; drittens die Seele mit den Kräften. Darum heißt es (Gen. 2.): "Gott bildete den Menschen vom Lehme der Erde und hauchte in sein Angesicht den Athem des Lebens." Viertens die Gnaden mit den Tugenden, wie der Apostel (Hebr. 12.) sagt: "Da wir nun ein unwandelbares Reich empfangen, so lasset uns festhalten an der Gnade, durch die wir gerne Gott dienen mit Furcht und Ehrerbietung. Denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer."

 Von der Welt müssen wir den Armen Almosen geben. Sirach (4.) sagt: "Leihe dem Armen ohne Traurigkeit dein Ohr und erstatte deine Schuld und antworte ihm ruhig in Sanftmuth. - Sohn, entziehe den Armen das Almosen nicht und wende deine Augen nicht vom Armen hinweg, verachte die durstende Seele nicht und fahre den Armen bei seinem Mangel nicht hart an. - Beängstige das Herz des Armen nicht, und entziehe die Gabe dem Nothleidenden nicht, - Vom Dürftigen wende deine Augen nicht wegen des Zornes, und lasse die, welche dich suchen, über dich nicht fluchen. Denn das Gebet der Seele, welche in der Bitterkeit flucht, wird erhört; es erhört ihn aber der, welcher ihn schuf. - Sei gefällig gegen die Versammluug der Armen und vor deinen Aeltern demüthige deine Seele." Die Sanftmuth und die Demuth werden darum empfohlen, weil die Sanftmuth Niemanden beleidigt, und die Demuth sich Allen unterwirft. Der Christ aber muß gegen die Gleichgestellten und Untergebenen sich freundlich und demüthig erweisen. "Herr, mein Herz erhob sich nicht." In Bezug auf den Leib sind wir ihm schuldig, daß wir ihn unbefleckt zurückgeben. Die Weisheit (10.) sagt: "Von der Seele wird die Schuld gefordert, welche sie hatte." Wir müssen ihm Dank sagen, und zu seiner Ehre damit nützlich mitwirken. "Wir ermahnen euch - sagt der Apostel (2. Cor. 6.), - daß ihr die Gnade Gottes nicht umsonst empfanget." Wer diese Schulden nicht abträgt, dieser wird ihm niemals in Ewigkeit Rechenschaft ablegen können, und darum im Orte der Qualen in alle Ewigkeit leiden. Davon erlöse uns der Herr.

(Aus dem Buch Des heiligen Thomas von Aquin, des englischen Lehrers, Predigten auf das ganze Kirchenjahr)