Sonntag, 3. November 2013

Predigt vom Hl. Bonifatius - Welche Handlungen mit allem Eifer zu vermeiden und ...

Neunte Rede 

Welche Handlungen mit allem Eifer zu vermeiden und welche mit aller Kraftanstrengnng zu vollbringen sind.

1. Wir müssen Geliebteste! den Zustand des gegenwärtigen Lebens betrachten, wir müssen betrachten, welche Handlungen wir mit allem Eifer zu vermeiden und welche wir mit der ganzen Anstrengung unserer Kräfte zu vollbringen haben. Bei Allem, was hier gethan werden kann, müssen wir stets darauf bedacht sein, wie wir dem Teufel, unserm Verführer, widerstehen und wie wir Jesus, unserm Gott und Erlöser, gefallen mögen. Wir gefallen diesem aber dadurch, daß wir das, was er befohlen hat, thun und das, was er untersagt hat, verabscheuen. Er gebietet uns aber, keine Sünden und Ungerechtigkeiten zu begehen und die begangenen durch das Heilmittel der Buße möglichst schnell wieder gut zu machen; er befiehlt demnach, daß wir rechtschaffen und fromm leben und das Ewige suchen und daß Jeder seinem Amte und seiner Bestimmung fleißig obliege, damit er nicht überflüßig oder weniger nützlich an seiner Stelle erscheine. Es wohnt nämlich in dem Körper nur eine einzige Seele, worin das Leben besteht, aber an ihm sind viele Glieder, welche sich durch verschiedene Obliegenheiten unterscheiden; eben so giebt es in der Kirche nur einen einzigen Glauben, welcher überall durch die Liebe wirken soll, aber verschiedene Würden, welche ihre eigenen Verrichtungen haben; denn der Stand der Vorgesetzten ist ein anderer als jener der Untergebenen, der Stand der Reichen ein anderer als jener der Armen, der Stand der Alten ein anderer als jener der Jungen und jede Person hat ihre eigenen Vorschriften, wie jedes Glied am Körper seine eigene Obliegenheit hat. Die Bischöfe nämlich haben die Obliegenheit, das Schlechte zu verbieten, die Schwachmütigen zu trösten und die Frechen zu strafen; sodann muß die königliche Würde den Völkern Furcht und Verehrung einflößen, weil es keine Gewalt giebt, außer von Gott (Röm. 3, l 2.), deßgleichen sollen alle Machthaber und Richter (Judices; in andern Handschriften findet sich die Lesart divites (Reiche), welche aber weniger dem Sinne entspricht), welche dem Könige anhängen, gläubig, demüthig und barmherzig sein, sollen nach der Gerechtigkeit und nicht nach den Geschenken richten, die Wittwen, Waisen und Armen vertheidigen, ihren Bischöfen unterthan sein, Niemand durch Gewalt unterdrücken und nicht nach ungerechten Reichthümern haschen, sondern eher das Ihrige den Dürftigen geben, als fremdes Gut an sich reißen.

2. Deßgleichen sind im Volke Einige weise und Andere einfältig. Pflicht der Weisen ist es, das Gute was sie wissen, auch in der That zu üben und Andern zu predigen. Was nützt es dem Wanderer, den Weg zu kennen wenn er ihn nicht einschlagen will? Jener aber, welcher den Weg Gottes kennt und ihn einschlägt und Andere darauf führt, gleicht dem Himmelsgewölbe, welches mit vielen Gestirnen leuchtet. Wer Viele erbaut, wird durch den Lohn Vieler verherrlicht; die Mächtigen sollen also Gott stets vor Augen haben und wenn sie auch den Menschen nicht fürchten, doch Gott scheuen und die ihnen verliehene Gewalt zur Ehre Gottes und zum Heile ihrer Seelen genießen. Diejenigen aber, welche einfältig und ungelehrt sind, sollen demüthig von den Weisen lernen, weil der, welcher nicht erkennt, auch nicht erkannt werden wird (I. Korinth. 14, 38.), und sie sollen ja nicht glauben, sich bei dem strengen Richter durch Unwissenheit entschuldigen zu können; dieser zieht das Verborgene eines Jeden in Betracht (Vgl. Röm. 2, l6.).
3. Es giebt drei Abstufungen bei dem menschlichen Geschlechte; es giebt nämlich Einige, welche genau wissen, und thun, was sie wissen; diese sind die besten unter den Menschen und Gott am nächsten. Auf der zweiten Stufe stehen die Menschen, welche das Gute aus sich nicht wissen, es jedoch von den genau Wissenden lernen, und was sie gelernt haben, erfüllen wollen, und das Leben dieser Menschen ist in der Kirche von Nutzen; das Leben desjenigen aber, der das Gute, welches er nicht kennt, zu lernen verschmäht, ist Allen unnütz und den Meisten schädlich. Wer also das Gute weiß, soll es thun, und wer es nicht weiß, soll es lernen, damit sowohl jener sich über sein Wissen freue, als auch dieser durch seinen Fleiß voranschreite. - Sodann sind in der Kirche Einige reich und Andere arm. Den Armen ist vorgeschrieben, demüthig zu sein, auf Gott zu hoffen, welcher sagt: Selig sind die Armen im Geiste (Matth. 5, 3.), und sie sollen die besseren Reichthümer um so inniger lieben, weil ihnen diese irdischen fehlen. Den Reichen ist vorgeschrieben, von dem Ihrigen zu geben und nicht fremdes Gut an sich zu reißen, und die Armen zu speisen und zu bekleiden, denn da die Reichen wegen des Überflusses an Reichthümern in Speise und Kleidung kein Maß halten, so soll die Erquickung der Armen die Sünden, welche ihnen der Ueberfluß zuzog, abwaschen, weil, wie das Wasser das Feuer löscht, so das Almosen die Sünden löscht (Ecclesiast. 3, 33.). Der Reiche welcher die Reichthümer schont, schont die Seele nicht, oder gegen wen ist der freigebig, der gegen sich selbst zäh ist? Möge doch Jeder bedenken, um welchen Preis er von dem irdischen Feuer, wenn er auch nur einen einzigen Tag zu brennen genöthigt wäre, sich loszukaufen suchen würde, um wie viel heftiger ist aber das Feuer des Gerichtes? Das Feuer der Hölle ist überdieß ewig. Wer also Reichthümer besitzt, komme der Strenge des Richters zuvor und erbarme sich der Armen, damit sich Gott, welcher sich, wie gesagt, des Armen erbarmt, auch seiner erbarme; er wuchere für den Herrn und dieser wird es ihm vergelten. Den Greisen aber geziemt es, gottesfürchtig und in ihren Sitten eingezogen zu sein, ihre grauen Haare durch Mäßigkeit zu schmücken und stets an den Eintritt in das andere Leben zu denken. Für die Jünglinge ist es schicklich, sich des Gehorsams und der Unterwürsigkeit gegen die Aelteren zu befleißigen, damit sie in dem Hause Gottes stets Fortschritte machen, damit sie besser und besser werden und damit sie nicht durch eitle Ergötzungen und schädliche Begierden in die Schlingen der bösen Geister gerathen, sondern sich keusch und unbefleckt zum reiferen Alter bringen.
4. Den Eltern ist auch vorgeschrieben, daß sie ihre Kinder in der Furcht Gottes unterrichten; denn was nützt es dem Vater, wenn er einen zu den ewigen Qualen bestimmten Sohn hat? Deßhalb sollen die Väter ihre Söhne recht fleißig in den Lehren der Frömmigkeit unterrichten, damit sie dieselben hier und in der künftigen Welt als gesegnete Erben sehen (Vgl. I. Petr. 3, 9.); aber auch die Kinder sollen ihren Eltern gehorchen, denn auch Christus war, wie wir lesen (Luc. 2, 51.), seinen Eltern unterthan. Die Männer sollen ihre Weiber lieben in Keuschheit und mit reinem Gewissen und ihnen als dem schwächeren Gefäße in der Furcht Gottes die gebührende Ehre erweisen, die Weiber aber sollen in Furcht und Treue ihren Männern unterthan sein und wissen, daß die Unterwürsigkeit des Weibes unter den Mann von Gott angeordnet ist (Vgl. Gen. 3, 16.). Es giebt aber auch andere Gebote, welche in der Kirche jeder Würde, jedem Alter und jedem Geschlechte gelten, wie unter andern, daß man Gott den Herrn lieben soll aus ganzem Herzen, aus ganzem Gemüthe und aus allen Kräften und den Nächsten wie sich selbst (Matth. 22, 37. 39.), und daß keiner einem Andern thun soll, was er nicht will, daß ihm von einem Andern widerfahre (Vgl. Tob. 4, 16.). Nöthig ist Allen auch die Geduld, das Gefühl des Mitleids, die Fülle der Barmherzigkeit, die Strenge der Gerechtigkeit, die Reinheit des Glaubens, die Festigkeit der Hoffnung, die Inständigkeit des Gebetes und die Sanftheit der Sitten. Durch diese und ähnliche Opfer nämlich wird die göttliche Gnade verdient, denn diese Lehren des Heiles schicken sich für Alle und müssen als für Alle nöthig betrachtet werden. Durch diese Schritte wird die Reise nach oben vollbracht und mit diesen Schlüsseln die Thüre des himmlischen Vaterlandes geöffnet. Auf dieser Bahn haben alle Heiligen den Lauf des gegenwärtigen Lebens vollbracht und Alle, welche nun mit Christus herrschen, sind auf diesen Pfaden zu ihm gelangt; auch ist dieser Weg nicht mühsam, sondern sehr ruhmvoll, er wird in kurzer Frist zurückgelegt, aber mit ewiger Freude und Herrlichkeit belohnt. Wer aber nicht aufhört, auf diesem Wege fortzuwandeln, wird der Glückseligkeit der Engel theilhaftig und genießt den ewigen Anblick des allmächtigen Herrn und Gottes, der da lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. 
(Aus Sämmtliche Schriften des Heiligen Bonifacius des Apostel der Deutschen. Zweiter Band 1859)