Donnerstag, 14. November 2013

Auslegung des Hl. Papstes Gregor über den Propheten Ezechiel

 Bei den Propheten war es üblich, zuerst die Person, die Zeit und den Ort anzugeben und dann erst damit zu beginnen, geheimnisvolle Weissagungen zu künden. Zur Bekräftigung der Wahrheit wollten sie eben erst als Grundlage den geschichtlichen Hintergrund feststellen und dann erst in Zeichen und Bildern die Früchte ihres Geistes darlegen. Ezechiel gibt darum die Zeit, in der er lebte an, indem er sagt: Es geschah im dreißigsten Jahre, im vierten Monat, am fünften Tag des Monats. Er gibt auch den Ort an, indem er weiterfährt: Da befand ich mich in der Mitte der Gefangenen am Kanal Kebar. Da wurden die Himmel aufgetan und ich sah göttliche Gesichte. Er deutete auch die Zeit an: Am fünften Tag des Monats, und zwar war es das fünfte Jahr nach der Wegführung des Königs Joachin.Um uns auch seine Person genau zu bezeichnen, gibt er auch seine Familie an: Es ging das Wort des Herrn an Ezechiel, den Sohn des Priesters Busi. Da erhebt sich für uns gleich die erste Frage: Warum begann der Prophet, der vorher doch noch gar nichts gesagt hatte, also: Und es geschah im dreißigsen Jahre. Das Wort und ist ein Bindewort; bekanntlich kann ein späterer Gedanke  nur mit dem vorhergehenden verbunden werden. Wenn er noch gar nichts gesagt hatte, warum begann er dann: Und es geschah? Es geht ja gar kein Satz vorher, an den dies sich anschließen könnte. Man muss jedoch beachten, daß, so wie wir die körperlichen Dingen sehen, ebenso die Propheten im Geiste geistige Dinge schauen und daß ihnen auch das gegenwärtig ist, was uns in unserer Unwissenheit weit wegzuliegen scheint. So kommt es, daß im Geiste der Propheten das Innere mit dem Äuseren so eng verknüpft ist, daß sie beides zugleich schauen und daß ihnen beides gleichzeitig gegenwärtig ist, das Wort, das sie im Inneren hören, und das, was sie nach außen hin kundtun. So ist es also ganz klar, warum der Prophet, der noch gar nichts gesagt hatte, mit den Worten begann: Und es geschah im dreißigsten Jahre. Er fügte eben dieses Wort, das er nach außen kundgab an das Wort an, das er im Geiste vernommen hatte. Er schließt die Worte, die er spricht an das Gesicht, das er im Geiste geschaut, an und darum beginnt er: Und es geschah. Er fügte also das, was er sagen wollte, an das andere an, als ob das, was er im Inneren schaute, auch äußerlich wahrnehmbar sei. Seine Bemerkung, er habe am dreißigsten Jahre den Geist der Weissagung empfangen, weist auf etwas Beachtenswertes hin. Gewöhnlich wird nämlich die Gabe, die Lehre zu verkünden, erst im Erwachsenenalter verliehen. Darum wollte auch der Herr selbst, als er in seinem zwölften Lebensjahre mitten unter den Lehrern im Tempel saß, nicht wie er lehrte, sondern wie er Fragen stellte, angetroffen werden
(aus dem Deutschen Brevier übersetzt von Dr. Johann Schenk 1937 - 1. Sonntag im November)