Montag, 14. Oktober 2013

Vorbericht zu den zwei Briefen des heiligen Paulus an die Corinther. (Allioli-Bibel)


Die Briefe an die Corinther aus der Heiligen Schrift aus der Vulgata mit Bezug auf den Grundtext neu übersetzt und mit kurzen Anmerkungen erläutert von Dr. Joseph Franz Allioli mit Approbation des apostolischen Stuhles Achte Auflage der Ausgabe mit zur Seite stehendem lateinischen Urtext der Vulgata. 2. Auflage. München und Landshut. Vogelsche Verlagsbuchhandlung 1854.


Die Briefe an die Corinther

Vorbericht
zu den zwei Briefen des heiligen Paulus an die Corinther.


Corinth war die Hauptstadt der griechischen Provinz, des heutigen Morea,  auf der Erdenge zwischen dem jonischen und ägäischen Meere gelegen, eine reiche Handelsstadt mit zwei Häfen, ein Sitz des Venusdienstes und der Üppigkeit, aber auch der Gelehrsamkeit und Redekunst. Paulus war auf seiner zweiten Belehrungsreise (Apostg. 15,40.) von Athen aus (Apostg. 18,1.) im Jahre n. Chr. 52, nach anderen  54, dahingekommen, und hatte ein und ein halbes Jahr mit solchem Erfolge daselbst gepredigt, daß er eine zahlreiche Gemeinde bilden konnte, die jedoch mehr aus übergetretenen Heiden als Juden bestand; denn diese hatten sich, wie überall, auch hier widerspenstig gezeigt .(Apostg. l8, 6. 12. 13, 4.).
Paulus hatte alle Ursache, mit den corinthischen Christen zufrieden zu sein. Als er aber abgereist war, und sich nach  Ephesus begeben hatte, um von da nach Jerusalem zu gehen (Apostg. 19, 21.), kehrten  viele zu ihrer ausschweifenden Lebesweise Zurück, und veranlaßten den Apostel zur Abfassung eines Briefes an die Corinther, der aber verloren gegangen ist, und worin er den Gläubigen allen Umgang mit verdorbenen Menschen untersagte (1. Cor. 5, 9-.12.), Zu gleicher Zeit richteten jüdisch gesinnte Christen, die wahrscheinlich aus Palästina gekommen waren, Verwirrung an. Sich besonderer Vorzüge rühmend (2. Cor. 5, 12. 11,.18. 22.) widersprachen sie der Lehre des Paulus (2. Cor. 11, 4.), setzten sein  Ansehen herab (1. Cor. 9, 2.) und machten das des Petrus geltend (1. Cor. 1, 12.). Während des Apostels Abwesenheit kam auch Apollo nach Corinth (Aposta. 18, 24. 10 ,1.) ein großer christlicher Schriftgelehrter, der zwar von der Lehre des Paulus nicht abwich (vergl. 1.Cor. 3, 6. 16, 12.), aber sich doch durch die Wissenschaftlichkeit seiner Lehrweise von ihm unterschied. So traten also Lehrer verschiedener Art in Corinth auf. Die traurige Folge davon war, daß sich bald mehrere Parteien bildeten, und sich von einander schieden. Sie nannten sich nach den Lehrern, denen sie den Vorzug gaben; eine nach Paulus, eine nach Apollo, eine nach Petrus (1. Cor. 1, 12.). Vorzüglich feindselig standen sich die sogenannten Anhänger des Paulus und Petrus gegenüber.
Sie stritten sich nicht nur über die Verbindlichkeit des mosaischen Ceremonialgesetzes,  auch noch andere Streitfragen kamen unter ihnen zur Sprache. Ein Mensch wohnte seiner Stiefmutter bei, welches einigen als Blutschande höchst strafbar, andern gleichgültig schien. Die Gewohnheit bei römischen Gerichten Recht zu suchen, die Theilnahme an den heidnischen Opfermahlzeiten, die Heirathen mit Nichtchristen, das ehelose Leben, die Liebesmahle, die Verschleierung der Frauen bei gottesdienstlichen Versammlungen,  eine Unordnung in der Feier des heiligen Opfers und Abendmahles, die Gültigkeit philosophischer Beweise im Christenthume, die Geistesgaben, die Auferstehung von den Todten waren Gegenstände, worüber sehr heftig gestritten wurde. Von allein diesem erhielt der Apostel Nachricht zu Ephesus (1. Cor. 16, 8. 19. Apostg. 18, 19.) theils durch Angehörige der Chloe, einer Christin in Corinth, theils durch Gerüchte, theils  durch ein Schreiben, welches eine Gesandtschaft der corinthischen Gemeinde dem Apostel  überbracht hatte (1. Cor. 1, 11. 7, 1. 16, 15——18.). Er nahm daher Gelegenheit, unsern ersten Brief an die Corinther zu schreiben, um sie darin über alle jene Streitpunkte zu belehren und zur Eintracht sn ermahnen. Die Abgesandten sollten
den Brief mit sich nehmen, und zugleich sollte Timotheus über Macedonien nach Cotinth  reisen (Apostg. 19, 22.), wahrscheinlich um dem Apostel über den Eindruck Bericht zu erstatten, den das Schreiben auf die Corinther machen würde. Nach der Absicht des Apostels sollten die Überbringer beiläufig um Ostern in Corinth eintreffen (1. Cor. 5, 7. 8.), und Timotheus bis zum Pfingstfeste wieder in Ephesus zurück sein (1. Cor. 18, 8-12.). Sie müssen also im Anfange des Monats März von Ephesus abgereist, und  der Brief muß um diese Zeit, und zwar im letzten Jahre des Aufenthaltes des Apostels in Ephesus, im Jahre 57, nach andern 58, n. Chr. verfaßt seyn, weil Paulus ausdrücktlich sagt (1. Cor. 16, 8. 9.), daß er nur bis Pfingsten des laufenden Jahres noch in Ephesus bleiben wolle.  Der Apostel, voll Besorgniß, welchen Eindruck sein Brief auf die Corinther machen werde, schickte außer dem Timotheus auch den Titus von Ephesus nach Corinth, indem er diesem zugleich auftrug, Sammlungen für die Armen zu veranstalten. Als er  mittlerweile Ephesus verlassen mußte (Apostg. 20, 1.), glaubte er die Rückkehr des Titus in Troas erwarten zu können (2. Cor. 2, 12. 13.), traf ihn aber erst in Macedonien (2. Cor. 7, 5. ff.). Von diesem erfuhr er nun zwar, daß sein Schreiben nicht ohne gute Wirkung war (2. Cor. 7, 7-9.), aber auch, daß er seinen Zweck nicht ganz  damit erreichte (2. Cor. 6, 14—18. 12, 21. 13, 10.); denn nur die sich so nennenden Anhänger des Paulus hatten sich gebessert; die übrigen suchten ihn aus alle Weise zu verkleinern (2. Cor. 2, 15—17. 3, 1. 10, 10.), ja sie waren sogar so kühn, ihn der Unbeständigkeit (2. Cor. 1, 12—23.) und der Schwäche (vergl. 2. Cor. 10, 1—11.mit 1. Cor. 4, 18-21.) zu beschuldigen. Alles dieses und noch manches andere erfuhr  er durch Titus, und wurde dadurch veranlaßt unsern zweiten Brief an die Corinther während seines Aufenthaltes in Macedonien in Anwesenheit des Timotheus, der inzwischen auch zuruckgekommen war, bald nach dem vorigen Sendschreiben im Jahre 57 oder 58, nach andern 58 und 59 n. Chr. zu schreiben. "Wir erblicken ihn darin als einen zärtlich liebenden Vater, der seine Kinder mit betrübtem Herzen und mit aller  Strenge wegen ihrer Vergehungen hatte bestrafen müssen, der dann mit Kummer und Besorgniß auf die Wirkung der Strafe harrt, die reumüthig gebesserten Geliebten mit doppelter Liebe umfaßt, die verstockten Widersacher aber im Hochgefühle von der Würde seines Apostelamtes und von der Größe seiner Aufopferungen für die Verbreitung der Heilsanstalt mit Festigkeit zurückweist."