Donnerstag, 31. Oktober 2013

Von dem Glauben und der Liebe (Hl. Bonifatius)

Siebente Rede 

Von dem Glauben und der Liebe 

1. Vor Allem hat der Mensch zuerst zu untersuchen, was die wahre Wissenschaft und die wahre Weisheit sei, denn die Weisheit dieser Welt ist Thorheit bei Gott (I. Korinth. 3, 19.). Die wahre Wissenschaft ist sich dem Dienste des Teufels, welcher in den Sünden besteht, zu entziehen, und die vollkommene Weisheit ist, Gott verehren nach der Wahrheit seiner Gebote, und durch diese beiden wird das ewige Leben erworben, wie denn der Psalmist sagt: Weiche vom Bösen und thue das Gute (Ps. 33, 15.). Auch reicht es für Niemand hin, daß er das Böse nicht thue, wenn er nicht auch das Gute thut, oder daß er das Gute thue, wenn er nicht auch das Böse unterläßt. Jeder also, der auf diese Art weise ist, wird ohne Zweifel selig sein in Ewigkeit. Es giebt keine bessere Weisheit, als die, durch welche Gott nach dem Maße des menschlichen Geistes begriffen und gefürchtet und durch welche an sein ewiges Gericht geglaubt wird, und was ist auch gerechter als Gott lieben und seine Gebote beobachten, da wir von ihm aus nichts erschaffen und von der Knechtschaft des Teufels befreit worden sind und da er uns alles Gute, was wir besitzen, verliehen hat? Deßhalb soll Jeder auf das Eifrigste das Gute, welches er begonnen hat, zu vollbringen trachten, damit er von dem Herrn den ewigen Lohn zu empfangen verdiene. Gott muß aus allen Kräften geliebt werden, weil er Alle beschützt, welche ihm Leib und Seele mit gutem Willen und aufrichtiger Liebe unterwerfen. Jedes Geschöpf ist zwar dem alleinigen Gotte und seinem Herrn, es mag wollen oder nicht wollen, unterworfen, und wir werden nur ermahnt, mit ganzem Willen Gott, unserm Herrn, zu diene.

2. Voraus geht der Glaube, welcher die Seele Gott unterwirft, weil die Erkenntnis der Gottheit und die Wissenschaft der Wahrheit durch den katholischen Glauben erlernt werden muß, denn ohne Glauben ist es unmöglich Gott zu gefallen (Hebr. 11, 6.). Wahrhaft glückselig ist, wer dadurch, daß er recht glaubt, tugendhaft lebt, und dadurch daß er tugendhaft lebt, den rechten Glauben bewahrt. Wie also der Glaube ohne gute Werke vergeblich ist, so nützen die guten Werke nichts ohne wahren Glauben. Der katholische Glaube besteht darin, daß wir an Einen Gott, allmächtigen Vater, und an seinen eingeborenen Sohn unsern Herrn Jesus Christus und an den heiligen Geist, das heißt, an Einen Gott, an die ewige Dreifaltigkeit Einer Wesenheit, glauben, an Gott, aus welchem Alles, durch welchen Alles und in welchem Alles ist.
3. Unter den Geboten aber nimmt die Liebe Gottes die erste Stelle ein; sie muß deßhalb erworben und festgehalten werden, weil, wie der Apostel Paulus bezeugt, ohne ihre Vollkommenheit nichts Gott gefallen kann (Vgl. Röm. 13. l0); weßhalb auch der Herr, als er von einem Schriftgelehrten gefragt wurde, welches das größte Gebot sei, antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Gemüthe, und sodann hinzufügte: Das andere ist diesem gleich: du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen zwei Geboten hängen das ganze Gesetz und die Propheten (Matth. 22, 37. - 40.). Wenn er aber sagt: aus ganzem Herzen aus ganzer Seele und aus ganzem Gemüthe, so heißt dieß, Gott muß mit ganzem Verstande, mit ganzem Willen und mit jedem Gedanken geliebt werden. Die Liebe Gottes besteht aber gänzlich in der Beobachtung seiner Gebote, wie er denn auch anderwärts sagt: Wenn mich Jemand liebt, so wird er mein Wort halten (Joh. 14, 23.). Weßhalb auch die Wahrheit selbst an einer andern Stelle spricht: Daran werden Alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr euch lieb habt unter einander (Ebend. 3, 35.); deßgleichen der Apostel: Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes (Röm. 3, l0.), und eben so der Evangelist Joannes: Wir haben dieses Gebot von Gott, daß, wer Gott liebet, auch seinen Bruder liebe (Joh. 4, 2l.)
4. Sollte vielleicht irgend Jemand fragen, wer der Nächste sei, so mag er wissen, daß jeder Christ mit Recht Nächster genannt werden kann, wie wir alle in der Taufe als Gottes Söhne geheiligt werden, damit wir geistig Brüder seien in vollkommener Liebe. Die geistige Abstammung ist edler, als die fleischliche, und von ihr sagt im Evangelium die Wahrheit selbst: Wenn Jemand nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und heiligen Geiste so kann er in das Reich Gottes nicht eingehen (Joh. 3,5). Der Mensch lerne, worin die Gebote Gottes bestehen, und beobachte sie, so weit er vermag, und er wird so erkennen, daß er die Liebe Gottes besitzt. Niemand also soll, wenn er von einer auch noch so großen Sündenlast niedergedrückt ist, an der Güte der göttlichen Gnade verzweifeln, sondern in der Bedrängniß jedes Trübsals sich hoffnungsvoll bei der höchsten Güte Trost suchen, weil ohne Zweifel alle Hoffnung und alles Heil auf Gott allein beruht; wer aber Gott den Herrn getreulich liebt und unaufhörlich verehrt und seine Gebote beharrlich erfüllt, wird würdig befunden werden, die ewige Herrlichkeit mit den Engeln für immer zu besitzen und das Himmelreich wird sich ihm für seine Verdienste aufthun. Es steht also eben so, wie Allen die Seligkeit des Reiches Gottes auf gleiche Weise verkündigt ist, jedem Geschlechte jedem Alter und jeder Person auf gleiche Weise, je nach dem Werthe seiner Verdienste der Eingang zu dem Reiche Gottes offen, wo kein Unterschied gemacht wird, ob Jemand auf der Erde Laie oder Geistlicher, reich oder arm, jünger oder älter, Diener oder Herr gewesen ist, sondern wo Jeder nach dem Verdienste des guten Werkes mit der ewigen Herrlichkeit gekrönt werden wird.
(Aus Sämmtliche Schriften des Heiligen Bonifacius des Apostel der Deutschen. Zweiter Band 1859)