Freitag, 25. Oktober 2013

Vom Ursprunge des menschlichen Zustandes - Predigt vom Hl. Bonifacius

Zweite Rede 

Vom Ursprunge des menschlichen Zustandes (Von der Ursache des jetzigen Menschengeschlechtes, nämlich von dem Sündenfalle und der Erlösung)

 

1. Wir müssen, geliebteste Brüder! den Ursprung des menschlichen Zustandes wissen, um daraus die überaus große Barmherzigkeit unseres Schöpfers gegen uns zu erkennen. Er bildete unsere ersten Eltern, nämlich Adam und Eva, dessen Weib, aus Erdenstaub, brachte in sie einen vernünftigen und verständigen Geist, um damit ihren Schöpfer zu erkennen und zu loben, und setzte sie in die süßeste Glückseligkeit des Paradieses, um darin ohne Arbeit und Schmerz und ohne die Gefahr des Todes zu leben, bis sie in die ewige Glückseligkeit des himmlischen Reiches versetzt würden; auch befahl er ihnen, von der Frucht eines einzigen Baumes nicht zu essen, damit sie durch die Beobachtung eines einzigen Gebotes die ewige Herrlichkeit verdienen sollten, durch teuflischen Trug und Neid aber wurden sie verführt, von der ihnen verbotenen Frucht zu essen. Wegen dieser Schuld wurden sie auch herausgeworfen in das Elend dieser Erde,
geriethen durch die Uebertretung des ersten Gebotes unter die Gewalt des Teufels und mußten, nachdem sie in Sünden geboren und in Mühseligkeiten gelebt, in den Schmerzen des Todes sterben (Genes. Kap. 2 und 3) auch konnte Niemand nach dem Ende dieses Lebens zu dem Glücke des Paradieses oder der Seligkeit des himmlischen Reiches gelangen, bis der allmächtige Gott seinen einzigen von einer Jungfrau geborenen Sohn in die Welt schickte, wie er lange vorher durch die Propheten (Vergl. Is. 7, 14.) den heiligen Vätern versprach und wie der selige Paulus, der Weltprediger sagt: Als demnach die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn in diese Welt, um die Sünde der ganzen Welt zu tilgen (Vgl. I. Tim. 2, 7,; II. Tim. 1, 11.). Als aber nach der Vorherbestimmung Gottes die Fülle der Zeit kam (Vgl. Gal. 4, 4.), ward wie wir in dem heiligen Evangelium ( Luc. 1, 26. - 35.) lesen, der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, mit Namen Nazareth, zu einer Jungfrau, die mit einem Manne vom Hause Davids verlobt war, welcher Joseph hieß, und der Name der Jungfrau war Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Gegrüßt seist du, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern! Da sie dieß hörte, erschrack sie über seine Rede und dachte nach, was das für ein Gruß sei. Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott! Siehe, du wirst empfangen in deinem Leibe und einen Sohn gebären und du sollst seinen Namen Jesus heißen. Dieser wird groß sein und der Sohn des Allerhöchsten genannt werden; Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben und er wird herrschen im Hause Jakobs ewiglich und seines Reiches wird kein Ende sein. Maria aber sprach zu dem Engel: Wie wird dieß geschehen, da ich keinen Mann erkenne. Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten dich überschatten; darum wird auch das Heilige, welches aus dir geboren werden soll, Sohn Gottes genannt werden. Und es war damals eine solche Zeit und ein solcher Friede in der Welt, daß die Herrschaft über den ganzen Erdkreis einer Stadt gehörte, und es über diese Stadt und den ganzen Erdkreis nur einen Kaiser und Herrscher gab, Namens Augustus, welcher auch ein Ausschreiben in die Welt erließ, daß jeder Mensch sich nach seinem Vaterlande begeben und daselbst die Steuer für seinen Kopf bezahlen, jeder flüchtige Sklave aber zu seinem Herrn zurückkehren und jeder, für welchen sich kein Herr finde, getödtet werden solle, damit der Friede, welchen er auf dem ganzen Erdkreis befahl, nicht gestört werde (Vgl. Luc. 2, l.; Orosius, Hist I. VI, c. 22. Augustus schloß dreimal den Tempel des Janus, wodurch, so zu sagen, der ganzen Welt der gegenwärtige Segen eines allgemeinen Friedens angekündigt ward, denn auch durch äußere Ruhe sollte die Erscheinung des großen Friedefürsten (Is. 9, 5.) ausgezeichnet werden; vgl. Fr. L. Gr. zu Stolberg, Geschichte der Religion Jesu Christi, Bd. V. S. 50.),und dieß geschah durch die Vorsehung Gottes, damit zu der Zeit, wenn jener, der den Menschen den wahren Frieden predigen und Alles, was im Himmel und auf der Erde ist, versöhnen sollte, geboren würde, Friede auf dem ganzen Erdkreise und Eintracht zwischen den englischen Würden und der menschlichen Natur sei. In dieser so friedlichen Zeit also und in dieser so heiteren Freude aller Völker überall, wurde wie die evangelische Geschichte erzählt (Matth. 2, l.; Luc. 2, 4.- 7. ), in dem Stamme Juda und in Bethlehem, der Stadt Davids, aus Maria der Jungfrau der Sohn Gottes geboren und zwar nicht durch die Vereinigung mit einem Manne, sondern durch den einflößenden und den jungfräulichen Leib befruchtenden heiligen Geist, damit die jungfräuliche Reinheit bei der Geburt und nach der Geburt bleibe.

2. In derselben Nacht, als Gott, der Sohn Gottes, der Welt geboren wurde, waren, wie wir in dem Evangelium (Luc. 2, 8. - l6.) lesen, Hirten in derselben Gegend, die hüteten und Nachtwache hielten bei ihrer Heerde. Und siehe, ein Engel des Herrn stand vor ihnen und die Herrlichkeit Gottes umleuchtete sie, und sie fürchteten sich sehr. Der Engel aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkündige euch eine große Freude, die allem Volke widerfahren wird, denn heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren worden, welcher Christus, der Herr ist. Und dieß soll euch zum Zeichen sein: ihr werdet ein Kind finden, in Windeln eingewickelt und in einer Krippe liegend. Und sogleich war bei dem Engel eine Menge himmlischer Heerschaaren, welche Gott lobten und sprachen: Ehre sei Gott in der Höh´ und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind. Und die Hirten kamen und fanden ein Kind in Windeln eingewickelt und in einer Krippe liegend und Maria, seine Mutter, wie die Engel ihnen vorausgesagt hatten. Dieses Fest ist der Anfang unseres Heils und die Erlösung des menschlichen Geschlechts, wobei Gott durch die Barmherzigkeit des Herrn zu den Menschen herabstieg, damit die Menschen durch Gehorsam zu Gott hinaufsteigen könnten, weil sie des Ungehorsams wegen aus der Glückseligkeit des Paradieses vertrieben waren; und nicht nur diese Glückseligkeit stellte der aus der Jungfrau geborene Gott uns wieder her, sondern er eröffnete auch denen, die an ihn glauben und seine Gebote beobachten, die Pforten, verlieh, daß die, welche in den Sünden Söhne des Zornes und des Elendes waren, im Glauben und in der Liebe Söhne Gottes wurden, und zertrat und zerbrach jedes Joch der teuflischen Knechtschaft, so daß der Teufel fernerhin keine Gewalt mehr haben konnte über jeden Menschen, der die Gebote Gottes beobachten und sich vor den Sünden hüten wollte.

3. Diejenigen also, welche sich nicht scheuen zu sündigen und ihre Sünden nicht beichten oder durch die Buße sühnen wollen, sind Knechte des Teufels, diejenigen aber welche sich vor den Sünden zu hüten oder ihre Sünden durch die Beichte und Buße zu tilgen suchen und sich freuen, nach den Geboten Gottes zu leben, sind Söhne der Liebe Gottes und Erben der ewigen Glückseligkeit. Darin nämlich besteht der große Vorzug, daß der irdische Mensch ein Sohn Gottes wird und dieser große Vorzug und diese große Freiheit muß durch gute Sitten fleißig gewahrt werden; auch will der höchste Vater, welcher der Gott Aller ist, nur gute, keusche, treue und seine Gebote beobachtende Söhne haben, und es gebührt sich, daß wir jenen mit vollkommener Hingebung lieben, welcher uns so sehr geliebt hat, welcher, da er der ewige Gott ist, zu unserm Heile geboren werden und Alles thun und leiden wollte, was in dem heiligen Evangelium zu lesen ist, und welcher in dem Angesichte des Volkes so wunderbar glänzte, daß in Wahrheit erkannt werden konnte, er selbst, welcher Mensch schien in der Gebrechlichkeit des Fleisches, sei Gott in der Macht der Gottheit, bei dessen Geburt die Engel, wie wir gehört haben, Gott lobten und sangen: Ehre sei Gott in der Höh´ und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind (Luc. 2, 14.). Auch wir wollen mit den Engeln "Ehre sei Gott" singen und seine unaussprechliche Barmherzigkeit preisen, da er sich selbst erniedrigt hat, um uns zu erhöhen. Er ist Menschensohn geworden, um uns zu Söhnen Gottes zu machen; er kam in das Gebiet unserer Sterblichkeit, um uns in das Gebiet seiner Herrlichkeit zu erheben. Auch fügten die Engel mit lobsingender Stimme hinzu: Und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind; denn der wahre Friede besteht darin, daß wir mit gutem Willen dem allmächtigen Gotte unterthan sind und stets mehr seinem als unserm Willen folgen, weil sein Wille unser Heil ist. Reinigen wir uns von allem Unrechte des Leibes und der Seele; leben wir in Keuschheit und in der Liebe zu Gott und den Menschen, dienen wir mit Freude Gott in jeglichem guten Werke, in der Barmherzigkeit und in der Frömmigkeit, in der Gerechtigkeit, in der Geduld und in der Hoffnung auf die Güte Gottes, da wir auf das Zuverläßigste wissen, daß unser Herr uns alles Gute, was wir durch Almosen, durch Demuth und durch Gehorsam gegen seine Gebote vollbringen, in der ewigen Glückseligkeit vergelten wird.

(Aus Sämmtliche Schriften des Heiligen Bonifacius des Apostel der Deutschen. Zweiter Band 1859)