Mittwoch, 23. Oktober 2013

Vierter Fastensonntag - Predigt vom hl. Thomas v. Aquin


Erste Rede


 Jenes Jerusalem aber, das Oben ist, ist frei und ist unsere Mutter. Gal. 4, 26.

Diese Worte beziehen sich auf die Stadt Gottes, welche im Himmel herrscht, auf dreifache Weise; zuerst in Bezug auf die Lage - sie ist Oben - zweitens in Bezug auf den Namen - sie ist Jerusalem - und drittens in Bezug auf die Freiheit - sie ist frei.

 In Bezug auf den ersten Punkt ist zu bemerken, daß wir an das, was Oben ist, auf vierfache Weise ermahnt werden. Zuerst in Bezug auf die Reinigkeit; denn in der Höhe sind keine unreinen Dünste; diese fallen in die Thäler nieder. Dieses ist in der Himmelsstadt der Fall, wo nichts Unreines ist; die Offenbarung sagt (21.): "Es geht dort nichts Unreines ein." Zweitens in Bezug auf die Gesundheit, denn die in der Höhe gelegene Stadt ist gesund, d. h. die himmlische Stadt in der kein Schmerz und kein Jammer ist. Die Offenbarung (21.) sagt: "Und es wird fürderhin keinen Tod, keinen Jammer und keinen Schmerz mehr geben." Drittens in Bezug auf
die Sicherheit. Denn die hochgelegene Stadt ist um so sicherer, daher der Psalmist (30.) sagt: "Gott verherrlichte seine Erbarmung in der befestigten Stadt." Viertens in Bezug auf die Geräumigkeit; denn die Erde unten verhält sich wie ein Punkt im Kreise, der Himmel aber, als Umfang. Der heilige Augustin sagt: "Du bewunderst in der Enge die Breite des grenzenlosen Himmels, daß in sehr kurzer Zeit sehr weite Räume von dem Schiffe bei günstigem Winde gemacht werden; aber jenes himmlische Land gewährt dem schnellsten Gestirne dreißig Jahre Raum."


 In Bezug auf den zweiten Punkt aber ist zu bemerken, daß die himmlische Stadt, weil sie Jerusalem heißt auf vielfache Weise empfohlen wird; denn vielfach ist in der Schrift von Jerusalem die Rede, was man von dem himmlischen Jerusalem zu verstehen hat. Hier werden zehn Eigenschaften angeführt. Die erste ist die bewunderungswürdige Schönheit und Geräumigkeit. Das hohe Lied (6.) sagt: "Schön ist meine Freundin, und anmuthig und zierlich wie Jerusalem." Die zweite ist die unaussprechliche Liebe. Es heißt (Ps. 31.): "Der Herr sprach, dessen Feuer in Sion, und dessen Feuerofen in Jerusalem ist." Die dritte ist der schöne und klare Glanz. Darum heißt es (Tob. 13.): "In glänzendem Lichte wirst du strahlen und alle Grenzen der Erde werden es anbeten." Die vierte ist die Schönheit der Mauern, Wege und Thore. Es heißt (Tob. 13.): "Und die Thore Jerusalems werden aus Saphir und Smaragd erbaut werden." Die fünfte ist der Ueberfluß an allen Dingen. Die Schrift (Is. 33.) sagt: "Deine Augen werden Jerusalem, die reiche Wohnung sehen." Die sechste iist der Überfluß an allen Vergnügungen. Daher sagt Isaias (letzt. Kap.): "Freuet euch in Jerusalem und frohlocket in ihm Alle, die ihr es liebet; ja, freuet euch Alle, die ihr über es weintet, daß ihr kostet und erfüllt werdet von den Brüsten seines Trostes, daß ihr von seiner Herrlichkeit jegliches Vergnügen genießet." Die siebente ist die immer währende Freude; die achte die ewige Herrlichkeit. Darum spricht der Prophet (Isai. 60.): "Ueber dir Jerusalem geht der Herr auf, und seine Herrlichkeit zeigt sich an dir." Die neunte ist die ewige Glückseligkeit, darum heißt es (Isaia. 66.): "Sieh ich will hinleiten auf Jerusalem gleichsam einen Fluß des Friedens." Die zehnte ist der ewige Genuß des beseligenden Lichtes. Tobias (13.) sagt: "In allen Straßen Jerusalems wird Alleluja gesungen werden. Sieh ich gebe Jerusalem Frohlocken und seinem Volke Freude."

 In Bezug auf den dritten Punkt ist zu bemerken, daß dort Freiheit von fünf Dingen sein wird. Zuerst von der Pein des Teufels. Der Prophet (Isai. 14.) sagt: "Und es wird an jenem Tage geschehen, wenn dir der Herr Ruhe gewährt von deiner Arbeit und deiner Qual und deiner Knechtschaft in der du vorher dientest, da wirst du dieses Gleichniß gegen den König Babylons nehmen und sagen: Wie ruhte der Peiniger, ruhte der Tribut. Der Herr zerbrach den Stab der Gottlosen." Zweitens von jedem Uebel. Es heißt (Tob. 13.): "Du wirst Jerusalem, deine heilige Stadt von allen seinen Uebeln befreien." Drittens von der Verweslichkeit der Geschöpfe, viertens vom leiblichen Tode. Von diesen beiden sagt der Apostel (Röm. 7.): "Wer wird mich befreien von dem Körper dieses Todes? Die Gnade Gottes durch Jesus Christus, unsern Herrn." Fünftens herrscht dort Freiheit von der Knechtschaft der Sünde. Das Evangelium (Joh. 8.) sagt: "Wenn euch der Sohn befreit, werdet ihr wahrhaft frei sein." Glückselig ist also jene Stadt, wo kein Uebel und jegliches Gut ist.

(Aus dem Buch Des heiligen Thomas von Aquin, des englischen Lehrers, Predigten auf das ganze Kirchenjahr)