Mittwoch, 23. Oktober 2013

Erster Fasten-Sonntag - Predigt vom hl. Thomas v. Aquin

 Erste Rede


 Sieh, nun in die gnadenvolle Zeit, sieh, jetzt sind die Tage des Heiles. 2. Cor. 6, 2.


Quelle: Missale romanum ex decreto sacrosancti Concilii tridentini 
restitutum: s. Pii v. pontificis maximi jussu editum, Clementis
 VIII. et Urbani VIII. auctoritate recognitum
In diesen Worten liegt zweierlei; zuerst wird auf die gegenwärtige Zeit hingewiesen mit den Worten: "Sieh, jetzt ist die Zeit der Gnade;" zweitens wird der Grund angegeben in den Worten: "Sieh, jetzt sind die Tage des Heiles."

 In Bezug auf das Erste ist zu bemerken, daß die gegenwärtige Zeit die Zeit der Gnade aus acht Gründen genannt wird. Zuerst, weil sie die Zeit ist den Herrn zu suchen. Der Prophet (Oseas 10.) sagt: "Jetzt ist die Zeit den Herrn zu suchen, weil er kommt, um die Gerechtigkeit zu lehren." Zweitens, weil dieß die Zeit ist dem Herrn zu gefallen. Der Psalmist (68.) sagt: "Zeit des Wohlgefallens, Gott! laß es sein." Drittens, weil es Zeit ist die Sitten zu bessern. Der heilige Apostel Paulus (Hebr. 9.) redet "von Werken die bis zur Zeit der Buße aufgelegt wurden." Viertens, weil es jetzt Zeit ist die Laster und das Ueberflüssige abzuschneiden. Die Schrift (Hohel. 2.) sagt: "Die Zeit der Zuschneidung ist angekommen." Fünftens, weil es Zeit ist die göttliche Erbarmung zu ergreifen. Der Psalmist (101.) sagt: "Die Zeit seiner Erbarmung ist angekommen." Sechstens, weil jetzt die Zeit ist Trübsale zu leiden. Jeremias (30.) sagt: "Eine Zeit der Drangsal ist es für Jacob, doch er soll daraus errettet werden." Siebentens, weil jetzt die Zeit ist das Heil zu erlangen. Die Schrift sagt (Sirach. 4.): "Halte mit deinen Reden zur Zeit der Rettung nicht zurück." Achtens weil es die Zeit des Wohlthuns ist. Der Psalmist (118.) sagt: "Es ist die Zeit des Wohlthuns, o Herr!"


 In Bezug auf dieses Letztere ist zu bemerken, daß die Fastenzeit die Zeit der geistigen Wohlthaten ist, wozu uns acht Gründe aufmuntern. Zuerst die heilige Schrift, welche in dieser Zeit gelesen wird. Denn jetzt liest man die Evangelien und Episteln welche uns aufmuntern zum Gebete, zum Fasten, zum Almosen, zur Gerechtigkeit, zur Buße und zu ähnlichen Werken; daher scheint der taub zu sein, welcher jetzt nicht Gutes wirkt. Denn er scheint die Zurufungen so vieler heiliger Schriften nicht zu hören, welche jetzt gelesen werden und die zum Guten ermuntern. Zweitens, ermahnt uns dazu der Schöpfer, welcher wie man glaubt, in dieser Zeit die Welt schuf; daher ist es sehr undankbar, Gott nichts Gutes zu erweisen, da er uns so viel Gutes erwiesen hat. Drittens, ladet uns dazu die Kreatur ein, welche zur Winterszeit ausruhte, aber jetzt wieder aufzuwachen und thätig zu sein anfängt, wie man an den Kräutern, Pflanzen und Thieren sieht. Die Schrift sagt (Jerem. 8.): "Der Reiher unter dem Himmel weiß seine Zeit, die Turteltaube, die Schwalbe und der Storch halten die Zeit ihrer Wiederkunft, aber mein Volk kennt nicht das Gericht des Herrn." Viertens ladet zum Wohlthun das Beispiel Christi ein, der in dieser Zeit uns Gutes erwies. Der heilige Bernhard sagt: "Jener der mich mit einem einzigen Worte schuf, sagte bei der Wiedergeburt sowohl Vieles, als auch that er Wunderbares und ertrug Hartes." Fünftens ladet uns die Anordnung der Kirche dazu ein, welche befiehlt, daß Alle beichten und fasten,  und die Kirche besuchen sollen; darum überschreitet der, welcher dieses nicht thut das Gebot seiner Mutter, der Kirche. Und die Sprichwörter (1.) sagen: "Verlaß nicht das Gesetz deiner Mutter." Sechstens, die Ermunterung und die Gewohnheit Vieler. Denn jetzt fangen Viele an Gutes zu thun, daher soll man sich schämen, allein bei den Wenigen zurückzubleiben. Der Apostel sagt (Hebr. 12.): "So wollen denn auch wir, da wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, alle Last und die uns anklebende Sünde ablegen, und mit Geduld dem uns vorgelegten Wettpreise zulaufen, und lasset uns aufblicken zudem Anfänger und Vollender des Glaubens, zu Jesus." Siebentens, die reichliche Verleihung der göttlichen Gnade. Denn man muß glauben, daß Gott der uns so viele Güter gespendet hat, in diesen Tagen uns seine Gnade reichlicher spende, darum heißt es in der Epistel: "Wir ermahnen euch, daß ihr nicht umsonst die Gnade Gottes empfanget." Achtens, muß uns zum Guten die Erwartung des großen Osterlammes ermuntern, denn wer ein großes Fest erwartet, muß lange Nachtwachen halten, und darum singt jetzt die Kirche: Es sei euch nicht eitel, in der Frühe vor Tagesanbruch aufzustehen, weil der Herr den Wachenden die Krone versprach. Zugleich hoffen wir den Leib des Herrn zu empfangen, was man nur gereinigt thun soll. Daher sagt der Apostel (1. Cor. 11.): "Es prüfe sich aber selbst der Mensch, und so esse er von diesem Brode und trinke von diesem Kelche." Feiern wir so jetzt diese Fastenzeit würdig, so gelangen wir zu dem Berge Gottes, nämlich zu Horeb, d. h. nach dem Evangelium zum himmlischen Mahle, wozu uns Gott führen wolle. 

 (Aus dem Buch Des heiligen Thomas von Aquin, des englischen Lehrers, Predigten auf das ganze Kirchenjahr)