Dienstag, 22. Oktober 2013

Das Fest der Opferung der allerseligsten Jungfrau Maria

21. November
Dieses Fest wurde unter dem Namen Einführung oder Eintritt der Jungfrau Maria in dem Tempel, in der morgenländischen Kirche schon im vierten Jahrhundert nach Christi Geburt gefeiert. Vom Morgenlande verpflanzte es sich auch in das Abendland, wo es bereits im Jahre 1375 in Frankreich und Deutschland gefeiert wurde, bis es endlich durch Papst Paul II. förmlich fiir die ganze Kirche als Fest angeordnet wurde. Es hat aber dieses Fest zum Gegenstand jene lehrreiche Begebenheit, welche uns die heilige Überlieferung erzählt, gemäß welcher die allerseligfte Jungfrau sich von ihrer zartesten Kindheit an dem Herrn im Tempel aufgeopfert und ihre Jungfrauschaft ihm geweiht hat.


 Es war den Juden von Gott geboten, ihre erstgebornen Knaben in den Tempel zu bringen und dort ihm feierlich aufzuopfern zum Zeichen, daß sie sein auserwähltes Volk und ihm vor allen andern Völkern geweiht und geheiligt seien. Aber viele fromme Juden begnügten sich nicht damit, sondern opferten ihre Kinder auf eine ganz besondere Weise Gott dem Herrn. Diese also geopferten Kinder blieben im Tempel, wohnten neben demselben in besondern Gemächern, und dienten den Priestern und Leviten bei ihren heiligen Amtsverrichtungen. Auch für Mädchen befand sich eine besondere Wohnung in den Tempelgebäuden, um dort sich Dienste Gottes besonders widmen zu können.

 Noch in zarter Jugend - etwa drei Jahre alt - wurde nun Maria von ihren Eltern, Joachim und Anna, aus göttlicher Eingebung Gott im Tempel dargestellt und Seinen Diensten geweiht daher in der Zahl übrigen Jungfräulein aufgenommen, welche zu gleicher Bestimmung sich im Tempel befanden. Der Tag wo dieses geschah war ein Freudentag für die allerseligste Jungfrau. Schon lange hatte sie sich nach diesem Tag gesehnt. Sie war ein wunderbares Kind, überaus verständig, voll stillen Ernstes und flammend von Liebe zu Gott. Gott wollte sie ganz angehören, ihm ihr ganzes Leben weihen. - Der heilige Geist wirkte dieß Alles verborgen in ihrem Herzen. Wohl liebte sie ihre schon betagten Eltern, aber weit mehr noch den Vater im Himmel. Als daher der Tag kam, wo sie das elterliche Haus verlassen sollte, kam es ihr nicht schwer an. Auch ihre Eltern brachten Gott freudig das Opfer, welches sie ihm schon gelobt hatten. - Den weiten Weg nach Jerusalem machte Maria ohne große Beschwerden, die Liebe beflügelte ihre Schritte. Voll himmlischer Wonne stieg sie die Stufen zum Tempel hinauf, um dort vor Gottes Angesicht das wohlgefälligste Opfer darzubringen, welches je im Tempel dargebraht wurde.

 Wende mit mir nun, lieber Leser, deine Augen auf die Personen, welche bei diesem Opfer thätig waren. - Die erste dieser Personen war die göttliche Majestät selbst. Gott hatte diese Jungfrau sich auserkoren und sie in seiner Weisheit und Liebe aus dem Geräusche der Welt in sein Haus und zu seinem Dienste berufen und geführt. Sie, die einst werden sollte das lebendige Haus, da Gott Fleisch werden, und der lebendige Tempel, in dem er wohnen wollte, hörte in ihrem Herzen die Worte des Psalmisten: "Höre, Tochter, und schaue und neige dein Ohr: und vergiß dein Volk und das Haus deines Vaters! So wird der König nach deiner Schönheit verlangen! und Maria schaute und erkannte die Größe der Gnade Gottes, so ihr zu Theil geworden, sie neigte ihr Ohr, zu horchen, vergaß gänzlich ihres Volkes und entsagte ihrem väterlichem Hause auf Erden, um sich ihrem Vater im Himmel, der sie seine Tochter nannte, wohlgefällig zu machen. Und so sehr wuchs durch diesen Gehorsam und diese Demuth ihre innere Schönheit, daß die Liebe des Königs des Himmels und der Erde zu ihr noch höher stieg, und sich freute, sie zu seiner Mutter erwählt zu haben! O christliche Seele, wenn dich Gott antreibt, irgend ein Werk aus Liebe zu ihm zu verrichten, oder in dir das heilige Verlangen rege macht, diese eitle Welt zu verlassen und dich seinem Dienste zu widmen, dann zaudere nicht lange. Ruft dich Gott, dann folge seinem Rufe schnell und freudig wie Maria, deine Mutter und dein Vorbild. Bringe Gott das Opfer, er wird's dir hundertfältig lohnen!
 
Die zwei andern Personen, welche bei diesem gottgefälligsten Opfer zugegen waren, und daran großen Antheil hatten, waren Joachim und Anna. Weit entfernt, dem Opfer ihrer einzigen und geliebten Tochter entgegen zu seyn, freuten sie sich vielmehr, daß Gott sich würdige, von ihnen dieses Opfer anzunehmen, und schätzten sich glücklich, ihre Tochter seinem Dienste weihen zu dürfen. Wahrlich nicht geringer war bei dieser Handlung die Glut ihrer Andacht, als die der Anna, der Mutter Samuels, gewesen, als dieselde ihren Sohn zum Dienste Gottes in den Tempel brachte, überzeugt, dem Herrn ein wohlgefällig Opfer darzubringen. Sie legten, ganz ergeben in Gottes Willen, ihre Hände segnend auf das Haupt ihres Kindes und sprachen: "Nimm hin, o Herr unser Gott, diese Frucht unsers Leibes, die du in unendlicher Huld bewahrt hast vor jedem Flecken der Sünde. Dein Werk ist sie, dein Eigenthum soll sie sein und bleiben."

 Maria aber, das holdeste und schönste der Mädchen, stand da vor dem Priester in engelreiner Unschuld. Ihr Antlitz strahlte von der Glut der Liebe, die in reinem Herzen flammte. Während das weiße Opferlämmchen auf dein Altare langsam verbrannte, kniete sie sich nieder und opferte sich ganz und gar Gott dem Herrn zum Dienste, nicht auf ein Jahr oder auf zehn Jahre wie die übrigen Jungfrauen, sondern auf immer. Ihr Wunsch und Wille war es, ihr ganzes Leben lang Gott in seinem Tempel zu dienen. O wie sehr gefiel Gott ein solches Opfer, wie gerne nahm er es auf! Ihr Opfer war das reinste; denn unbefleckt von jedem Hauche der Sünde war sie; es war das vollkommenste, denn Alles ohne Ausnahme weihte sie dem Herrn, ihren Leib, ihre Seele, ihre Jugend, ihr Hab und Gut; es war das bereitwilligste, denn ohne Verzug, ohne Widerrede mit Freuden brachte sie sich Gott dar; es war das wohlgefälligste, denn Maria war ja das auserwählte Gefäß der Gnaden Gottes, sie war seine geliebteste Tochter! - O christliche Seele, bitte Maria, die gebenedeiteste Jungfrau, daß sie dir helfen möge, Gott immer mit reinem Herzen zu dienen dein Leben lang, denn dieß ist ja deine Bestimmung auf Erden!

 Nachdem die frommen Eltern Joachim und Anna ihr Opfer dargebracht und ihre Andacht verrichtet hatten, übergaben sie ihr Kind dem Priester. Wohl war der Abschied von ihrem geliebten Kinde hart für ihr liebendes Herz, allein der Wille Gottes und der selige Friede der aus den Augen ihrer heiligen Tochter leuchtete, versüßte ihnen die Trauer. Ruhig und Gott lobend gingen sie nach Hause. Maria dankte ihnen für alle Liebe, die sie ihr erwiesen, bat um ihren Segen und wandte sich dann an den Priester, damit er ihr die Wohnung anweise, wo sie von nun an, fern von der Welt ihr Leben zubringen sollte. Und Zaharias, - denn dieß war der Priester - ihr Verwandter, der sich freute, dieses erhabene Opfer im Namen Gottes angenommen zu haben, führte sie in das Gebäude, wo die Gott geweihten Jungfrauen gemeinschaftlich lebten. Dort wuchs und nahm sie zu wie am leiblichen Körper so auch am Geiste vor Gott und den Menschen. In pünktlicher Befolgung der Gesetze Mosis und der Gebräuche ihres Volkes erhob sie sich mit Tagesanbruch von ihrem Lager. Mit höchster Ehrbarkeit kleidete sie sich an und dankte zugleich dem Herrn, daß er sie während des Schlafes von den Fallstricken des bösen Feindes bewahrt habe. Sie brauchte nicht lange zu ihrem Anzuge, ein himmelblaues Unterkleid bedeckte ihre Glieder, darüber ein weißes Oberkleid, das ein einfacher Gürtel mit herabhängenden Enden zusammenhielt, ein langer Schleier, der ihr Gesicht verhüllte, und Sandalen mit Schnüren an die Füße gebunden, vollendeten ihre ganze Tracht. Das Frauengeschlecht um Nazareth trägt noch heute diese Kleidung. Nachdem sie sich in ihre Kleider gehüllt hatte, begab sie sich in das Oratorium, wo sie unter ihrem Schleier verborgen rnit den übrigen Jungfrauen die achtzehn Morgenpsalmen sang. In tiefster Demuth und mit glühender Andacht betete sie Gottes Majestät an und flehte mit ganz Israel zu ihm, daß er bald senden möge den Erlöfer, den er schon lange verheißen. War das Gebet vollendet, dann kehrte sie mit ihren jungen Gefährtinen wieder zu ihren täglichen Geschäften zurück. Einige drehten die Spindeln, andere stickten mit Seide und Gold. Die heilige Jungfrau, sagt der heilige Epiphanius, war Meisterin im Sticken und in der Kunst, den Flachs zu spinnen, und in Wolle und Gold zu arbeiten. Die Spindeln, deren sie sich bediente, wurden lange Zeit in der Kirche zu Jerusalem aufbewahrt. Während sie mit den Händen arbeitete, war ihr Geist bei Gott. Sie hatte ein vollkommenes Verständniß der heiligen Schriften und von ihren Lippen flogen fortwährend heilige Gebete wie glühende Feuerfunken zu Gottes Thron empor. Die größte Ehrbarkeit bezeichnete alle ihre Handlungen. Sie war gut, freundlich, mitleidig. Sie sprach wenig, und immer zur rechten Zeit. Ihre Stimme war sanft, rührend, und ihre Worte hatten etwas so Salbungsvolles, Tröstliches, was die Seele des Hörers mit heiliger Ruhe erfüllte. Sie war die erste bei den Nachtwachen, die pünktlichste in Erfüllung des göttlichen Gesetzes, die Demüthigste, die Vollkommenste in jeder Tugend. Obgleich sie schön war und jugendlich, war sie doch eine Feindin jeder Eitelkeit. Der heilige Epiphanius schildert ihre körperliche Gestalt also: "Maria war nicht groß, doch gehörte ihr Wuchs gerade nicht zu den kleinen. Ihr Antlitz war etwas bräunlich, ihre Haare waren blond, ihre Augen lebhaft, und der Augapfel spielte etwas in's Olivengrüne, ihre Augenbrauen waren schön gebogen und vom dunkelsten Schwarz, ihre vollkommen schöne Nase war ganz gerade; ihre Lippen rosig, der Schnitt ihres Gesichtes das schönste Oval; die Hand und Finger waren lang." Alle Väter vereinigen sich im Lobe ihrer ausgezeichneten Schönheit. Aber noch weit schöner und herrlicher war ihre Seele, dieser Lustgarten des Herrn, wie sie der heilige Sophronius nennt. Alle Tugenden waren darin verborgen. Nicht der geringste Flecken einer Sünde zeigte sich darin. Ihr Herz kannte nur einen Haß, den Haß gegen die Sünden. Um sich davor zu bewahren, fastete sie häufig und strenge, gewöhnlich von Anbruch des Tages bis zur Zeit, wenn am die Sterne erscheinen. Unaufhörlich tödtete sie sich ab; sie übernahm die beschwerlichste Arbeit, die ekelhaftesten Werke der Barmherzigkeit, schlief auf hartem Boden und betete unaufhörlich. Und wenn sie betete, dann war sie dieser Welt entrückt, ihre Seele ruhte in Gott. "Nie," sagt der heilige Ambrosius, "gab es eine Seele, die so begabt war mit der himmlischen Gnade der Beschauung wie die ihrige. Ihr ganzes Leben war nichts als eine beständige Uebung der reinsten Gottesliebe und wenn der Schlaf auf ihre Augenlieder niedersank, wachte ihr Herz und betete noch." Das waren die Tugenden, das die Beschäftigungen Mariens im Tempel; sie glänzte dort unter ihren Gefährtinnen wie der Diamant unter den Edelsteinen, und galt für den schönsten Schmuck des heiligen Hauses Gottes.

 So sehr sich aber die allerseligste Jungfrau bemühte, das Opfer, welches sie Gott dem Herrn dargebracht, durch ein heiliges Leben immer vollkommener zu machen, so genügte ihr dieß doch nicht. Sie brachte während sie im Tempel von Tugend zu Tugend emporstieg Gott ein neues, bisher unerhörtes Opfer dar, nämlich das Gelübde beständiger Jungfrauschaft. So groß war ihre Liebe zu Gott, daß sie verlangte ihr Herz ihm ganz zu übergeben und ihn allein zu ihrem Bräutigam zu wählen. Ihr einziger Gedanke war, wie sie Gott wohlgefallen, und nicht getheilt seyn könnte, wie die so im Ehestande leben, es seyn müssen. Sie wußte wohl daß die Jungfrauschaft noch höhern Werth hat, wenn sie in Folge eines Gelübdes, als in Folge eines einfachen Vorsatzes gehalten werde. Deßhalb legte sie denn vor dem Angesichte Gottes das ewige Gelübde der Jungfrauschaft ab. So ging an ihr in Erfüllung, was der Bräutigam im hohen Liede spricht: "Ein verschlossener Garten ist meine Schwester und Braut, ein verschlossener Garten, ein versiegelter Quell." (Hohelied 4, 12.) Zweimal nennt er sie einen Garten, weil sie in doppelter Hinsicht am Leibe und an der Seele die Keuschheit übte, und mit einem Gelübde, wie mit sicherm Schloße und Riegel sie schützte, wovor dann die Demuth, Bescheidenheit, das Stillschweigen und die Enthaltsamkeit als treue Wächter aufgestellt waren. O wie angenehm war Gott dieser reinste Garten, in welchem zugleich die schönsten Tugendblumen und Tugendfrüchte blühten und gediehen. Er ließ daher auch seinen Trost und seine himmlischen Gaben wie in Strömen auf denselben herabtriefen und nahm ihn unter seine besondere Obhut.

 O christliche Seele, möchte dieses herrliche Beispiel, welches die allerreinste Jungfrau dir gibt, auch in dir das Verlangen erwecken, immer und allezeit die standesmäßige Keuschheit zu bewahren und zugleich dich zu bewegen, Gott dich ganz zu weihen, die seligste Jungfrau aber zu deiner besondern Beschützerin zu wählen, indem du öfters mit den Worten der Kirche zu ihr rufest:

Jungfrau sonder Gleichen,
Du vor Allen Milde,
uns von Schuld erlöse,
Mild uns mach und reine!
Amen

Quelle: Legende von den lieben Heiligen Gottes Georg Ott 1857