Donnerstag, 12. September 2013

Catechismus Romanus - Gib uns heute unser tägliches Brod.

Römischer Katechismus (Catechismus). Nach dem Beschlusse des Conciliums von Trient und auf Befehl des Pabstes Pius V. herausgegeben. Passau, Druck und Verlag von Friedrich Winkler 1839


Vierter Teil - Dreizehntes Hauptstück - Von der vierten Bitte - Gib uns heute unser tägliches Brod.

 

I. Welche Ordnungsweise in diesem Gebete des Herrn beobachtet sey. 

 

Die vierte, und alle folgenden Bitten, worin wir um Hilfe für Seele und Leib eigentlich und namentlich bitten, beziehen sich auf die vorhergehenden. Das Gebet des Herrn hat diese Ordnung und Weise, dass auf die Bitte um göttliche Dinge die Bitte um solche folgt, welche sich auf den Leib, und auf die Erhaltung dieses Lebens beziehen. Denn wie sich die Mensehen zu Gott, als dem letzten Endzwecke, wenden, so sollen sich die Güter des menschlichen Lebens gleichfalls nach den göttlichen richten.

 

II. Warum es erlaubt sey, Güter des menschlichen Lebens von Gott zu wünschen und zu verlangen. 

 

Diese Güter soll man desswegen wünschen und um sie bitten, theils weil es die göttliche Anordnung so fordert, theils weil wir ihrer als Hilfsmittel zur Erlangung göttlicher Güter bedürfen, damit wir durch ihre Hilfe das vorgesetzte Ziel erreichen, welches im Reiche und in der Herrlichkeit des himmlischen Vaters, und in der Heilighaltung und Beobachtung derjenigen Gebote besteht, welche wir als den Willen Gottes
erkennen. Daher müssen wir die ganze Kraft und den Inhalt dieser Bitte auf Gott und seine Herrlichkeit beziehen.
NB. Was hier fehlt, folgt nach dem Codex manut, später sub IX.

 

III. In welcher Absicht und Weise man um zeitliche Güter bitten müsse. 

 

1) Um zeitliche Güter muss man nach der Vorschrift Gottes bitten. 2) Bei dem Gebete um zeitliche Güter ist die Beschaffenheit des Gebetes nach dem Vorsatze des Betenden zu bemessen.

I. Die Seelsorger werden die gläubigen Zuhörer pflichtgemäss belehren, damit sie einsehen, dass bei dem Gebete um dasjenige, was den, Gebrauch und Nutzen irdischer Dinge betrifft, unsere Seele und unser Verlangen nach der Vorschrift Gottes geordnet seyn müsse, und davon durchaus nicht abweichen dürfe. Denn darin, was der Apostel schrieb: Was wir beten sollen, wie sich's gebührt, wissen wir nicht, [Röm. 8,26] wird am meisten gefehlt bei diesen Bitten, um irdische und vergängliche Dinge. Also muss man um diese Güter so beten, wie sich's gebührt; damit wir nicht, indem wir etwas Unrechtes verlangen, jene Antwort von Gott erhalten: Ihr wisset nicht, was ihr bittet. [Matth. 20,22]
II. Das sichere Kennzeichen aber zu beurtheilen, welche Bitte unrecht sey, und welche recht, ist die Absicht des Bittenden. Denn wenn Jemand um irdische Dinge bittet, in der Absicht, dass er sie unbedingt alle für gut hält, und in ihnen, gleichsam als dem letzten Endzwecke seine Ruhe findet, und nichts mehr ausser ihnen verlanget, so betet er ohne Zweifel nicht, wie sich's gebührt. Der h. Augustin sagt: "Wir bitten um dieses Zeitliche nicht als um unsere Güter, sondern als um unsere Bedürfnisse." Auch der Apostel lehret im Briefe an die Korinther, dass man alles, was die nothwendigen Lebensbedürfnisse betrifft, auf Gottes Verherrlichung beziehen müsse. Darum möget ihr essen oder trinken, oder etwas Anderes thun, so thut Alles zur Ehre Gottes. [I. Cor. 10,31]

 

IV. Wie viele und grosse Vortheile der Mensch im Stande der Unschuld besass. 

 

Wie vieler Dinge wir bedürfen, welche im Stande der Unschuld nicht nothwendig waren. Alle körperliche Arbeit war im Paradiese den Menschen angenehm und die Erde fruchtbar.

Damit aber die Gläubigen sehen, wie nothwendig diese Bitte sey: sollen die Seelsorger darstellen, wie gross das Bedürfniss der äusserlichen Dinge zum Unterhalte und zur Beförderung des Lebens sey; diess aber werden sie deutlicher einsehen, wenn man es mit dem vergleicht, was unsern Stammeltern, und nachher den übrigen Menschen zum Leben nothwendig war. Denn obschon der Mensch im herrlichen Stande der Unschuld, woraus er selbst, und durch seine Schuld die ganze Nachkommenschaft fiel, nothwendig hatte zu essen, um seine Kräfte zu erquicken, so ist doch zwischen seinen und unsern Lebensbedürfnissen ein mächtiger Unterschied. Er brauchte keine Kleider zur Körperbedeckung, kein Obdach als Zufluchtsort, keine Waffen zur Verteidigung, keine Arznei zur Gesundheit, und vieles andere nicht, dessen Beihilfe wir zum Schutze dieser schwachen und gebrechlichen Natur bedürfen. Es wäre ihm zum unsterblichen Leben jene Frucht hinreichend, gewesen, welche der glückselige Baum des Lebens ohne seine oder seiner Nachkommen Mühe gebracht hätte. Und es wäre der Mensch bei den so grossen Freuden des Paradieses nicht müssig gewesen, da ihn Gott in diese Wohnung des Vergnügens zum Arbeiten gesetzt hatte, allein es wäre ihm keine Arbeit beschwerlich, keine Pflichterfüllung unangenehm gewesen. Er würde beständig die süssesten Früchte geerntet haben, aus dem Bebauen der seligen Gefilde, und weder Mühe noch Hoffnung hätte ihn jemals getäuscht.

 

V. Welche Uebel der Sünde Adams gefolgt sind. 

 

Allein seine Nachkommenschaft ist nicht blos der Frucht des Baumes des Lebens beraubt, sondern auch durch jenen furchtbaren RBichterspruch verurtheilt worden, Die Erde sei verflucht in deinem Werk; mit vieler Arbeit sollst du essen von ihr alle Tage deines Lebens. Dörner und Distel soll sie dir tragen, und du sollst das Kraut der Erde essen. Im Schweisse deines Angesichtes sollst du dein Brod essen, bis du zur Erde wiederkehrest, von der du genommen bist. Denn du bist Staub, und sollst zum Staube wiederkehren. [Gen. 3,17-20] Uns widerfuhr daher von Allem das Gegentheil, was dem Adam und seinen Nachkommen zu Theil geworden wäre, wenn er dem Befehle Gottes gehorcht hätte. Also aber ist Alles verkehrt und äusserst verschlimmert worden. Das Traurigste dabei ist, dass durch die grössten Kosten, durch die beschwerlichste Arbeit und Schweiss gar oft kein Nutzen erzielet wird, da die Saat nicht aufkeimet, oder der junge Keim durch Unkraut erstickt wird, oder durch Regenschauer, Wind, Hagel, Brand und Frost geschlagen und niedergeworfen, zu Grunde geht; so dass alle Arbeit eines Jahres in kurzer Zeit durch irgend ein unglückliches Ereigniss der Witterung zernichtet wird. Diess kömmt von dem Uebermnasse unserer Sünden, wegen welcher Gott sich von uns abwendet, und unsern Arbeiten seinen Segen nicht ertheilet; und es bleibt immer der schreckliche Ausspruch, den er über uns am Anfange gethan hat.

 

VI. Die Menschen sind zur Arbeit verbunden, um ihren Bedürfnissen abzuhelfen, jedoch arbeiten sie vergeblich, wenn ihnen Gott nicht gnädig ist. 

 

Daher sollen die Seelsorger auf die Abhandlung dieser Stelle grosse Mühe verwenden, damit das gläubige Volk wisse, dass die Menschen aus eigener Schuld in diese Noth und in dieses Elend gestürzt seyen, damit sie einsehen, man müsse zwar schwitzen und sich abmühen, um das zu erwerben, was zum Leben notwendig ist; jedoch, wenn Gott unsere Arbeiten nicht segnet, so sey alle Hoffnung trügerisch, und eitel die Anstrengung. Denn, weder der ist etwas, welcher pflanzt, noch der, welcher begiesst, sondern Gott, der das Gedeihen gibt. [I. Cor. 3,7] Und: Wenn der Herr das Haus nicht bauet, so arbeiten die Bauleute umsonst. [Ps. 126,1]

 

VII. Man muss Gott bitten, dass er das, was wir bedürfen, geben möge; was er reichlich thut. 

 

Die Seelsorger sollen also lehren, es gebe beinahe unzählige Dinge, bei deren Ermanglung wir entweder das Leben verlieren, oder es in Unannehmlichkeit dahinbringen. Denn wenn das christliche Volk diese Notwendigkeit der Dinge und die Schwäche der Natur erkennet, so wird es gezwungen werden, dem himmlischen Vater sich zu nahen, und ihn um irdische und himmlische Güter zu bitten. Es wird nachahmen jenen verlornen Sohn, der, als er in fernen Landen in Noth gerieth, und ihm Niemand, da er Hunger hatte, Eicheln gab, endlich wieder in sich ging, und einsah, er könne nirgends als bei seinem Vater ein Rettungsmittel, gegen die Uebel, die ihn darniederdrückten, erlangen.
Bei dieser Stelle wird auch das gläubige Volk vertrauensvoller zum Gebete sich wenden, wenn es bei der Betrachtung der göttlichen, Güte sich erinnert, dass die väterlichen Ohren immer der Stimme der Kinder sich öffnen. Denn da er uns ermahnet, um Brod zu bitten, verheisset er es auch reichlich denen zu geben, die recht darum bitten. Indem er uns lehret, wie wir beten sollen, ermahnet er uns, und durch Ermahnen treibt er an, und durch das Antreiben verspricht er, und durch das Versprechen macht er uns hoffen, dass wir gewiss erhöret werden.

 

VIII. Was man unter dem Worte Brod verstehe, und welchen Sinn diese Bitte habe. 

 

Nachdem die Gemüther des gläubigen Volkes angeeifert und entflammt sind, soll folgen die Erklärung dessen, was man in dieser Bitte begehre; und, zwar erstens, was jenes Brod sey, um das wir bitten. Man muss also wissen, dass in den heiligen Schriften unter diesem Worte Brod vieles verstanden werde, doch besonders folgende zwei Dinge: erstens alles , was zur Nahrung und zu den übrigen Dingen, um Leib, und Seele zu erhalten, angewendet wird; dann alles, was uns zum Leben und zum Heile des Geistes und der Seele von Gott verliehen worden ist. Wir bitten aber hier um die Hilfsmittel zu diesem Leben, das wir auf Erden zubringen, nach dem Ausspruche der heiligen Väter, welche dieser Meinung waren.

 

IX. Es wird bewiesen, dass man um zeitliche Güter bitten dürfe. 

 

Desswegen muss man jenen kein Gehör geben, die da sagen, den Christen sey es nicht erlaubt, Gott um irdische Güter dieses Lebens zu bitten. Diesen Irrthum widerlegen, ausser dem einstimmigen Ausspruche der Väter sehr viele Beispiele sowohl des alten, als auch des neuen Testamentes. Als Jahob ein Gelübde gelobte, betete er so: So Gott mit mir ist, und mich behütet auf dem Wege, darauf ich wandle, und mir Brod zu essen gibt, und Kleider anzuziehen, und so ich wieder in meines Vaters Haus komme; dann soll der Herr mein Gott seyn, und dieser Stein, den ich zum Zeichen aufgerichtet, soll Haus Gottes, genannt werden, und von allem, was du mir gibst, will ich den Zehnten opfern. [Gen. 28,20] Auch Salomon betete um einen sichern Lebensunterhalt, da er so sprach: Armuth und Reichthum gib mir nicht: gib mir, was ich brauche, mich zu nähren. [Prov. 30,8] Und es befiehlt ja selbst der Heiland des Menschengeschlechtes, um das zu bitten, von dem Niemand zu läugnen vermag, dass es körperlichen Gebrauch betreffe, da er spricht: Bittet aber, dass eure Flucht nicht im Winter oder am Sabbathe geschehe. [Matth. 24,20] Was sollen wir vom heiligen Jakobus sagen, da er spricht: Ist Jemand unter euch traurig, so bete er: ist Jemand guten Muthes, so singe er Loblieder? [Jak. 5,13] Was vom Apostel der so an die Römer schrieb: Ich bitte euch, Brüder, bei unserm Herrn Jesu Christo und bei der Liebe des, heiligen Geistes, dass ihr mir helfet bei Gott mit eurem Gebete für mich, dass ich von den Ungläubigen, die in Judäa sind errettet werde. [Röm. 15,30] Da es also sowohl von Gott den Gläubigen erlaubt ist, um diese Unterstützung der zeit lichen Güter zu bitten, und diese vollkommene Form zu beten, von Christus dem Herrn gelehret wurde, so bleibt gar kein Zweifel, dass diese Bitte eine von jenen sieben sey.

 

X. Was hier unter dem Worte Brod für körperliche Bedürfniste verstanden werden. 

 

Wir bitten überdiess um das tägliche Brod, das heisst, um das Nothwendige zum Lebensunterhalte, so dass wir unter dem Worte Brod hinlänglich genug Kleider zur Bedeckung, und Speise zum Essen, sey es nun Brod; oder Fleisch, oder Fische oder etwas anderes, verstehen. Wir sehen, dass sich auch Elisäus dieser Bedeweise bedient habe, [4, Reg. 6,20] als er den König ermahnte, den assyrischen Soldaten Brod zu verschaffen, welchen eine grosse Menge von Speisen verabreicht wurde. Auch von Christus dem Herrn steht geschrieben: Er trat in das Haus eines Obersten von den Pharisäern, um da Brod zu essen am Sabbate, [Luc. 14,1] welche Worte andeuten, was zu Speise und Trank gehöret. Zur vollständigen Deutung dieser Bitte muss ferner beobachtet werden, dass man unter dem Worte Brod nicht eine übermässige und ausgesuchte Menge von Speisen und Kleidern, sondern die nothwendige und einfache Nahrung und Kleidung verstehen müsse, wie der Apostel schrieb: Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, so lasset uns damit zufrieden seyn; [I. Tim. 6,5] und Salomon, wie schon angeführt wurde: Gib mir, was ich brauche, mich zu nähren. [Prov. 38,8]

 

XI. Warum wir hier nicht einfachhin um Brod, sondern um das tägliche Brod bitten. 

 

An diese Mässigkeit und Sparsamkeit erinnert uns auch das unmittelbar darauf folgende Wort; denn wenn wir unser sagen, so bitten wir um Brod, zu unserm Bedürfnisse, nicht zum Ueberflusse. Wir nennen es nicht desswegen unser, weil wir es uns durch unsere Bemühung, ohne Gott, erwerben können, denn es heisst beim David: Alle warten auf dich, dass du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit. Du gibst ihnen, und sie sammeln; du thust auf deine Hand, und alles wird gesättigt mit Gutem; [Ps. 103,27] und, Aller Augen warten auf dich, Herr: und du gibst ihnen Speise zu rechter Zeit; [Ps. 144,15] sondern weil es nothwendig, und uns von Gott, dem Vater Aller, der alle Geschöpfe durch seine Vorsehung erhält, ertheilet ist.

 

XII. Wir müssen uns durch unsere Arbeit das Brod verdienen, das wir haben wollen, wenn wir um unser Brod bitten. 

 

Es heisst auch desswegen unser Brod, weil wir es rechtlich erwerben, nicht durch Unrecht, Betrug oder Diebstahl uns verschaffen müssen; denn was wir uns auf unerlaubte Weise zueignen, gehört nicht unser, sondern ist fremdes Eigenthum, und gar oft ist die Erlangung oder der Besitz solcher Güter unheilvoll, oder doch gewiss ein Verlust. Dagegen liegt im ehrbaren und sauer verdienten Gewinne frommer Menschen nach dem Ausspruche des Propheten Ruhe und grosses Glück. Er sagt: Von der Arbeit deiner Hände wirst du essen: Heil dir, es wird dir gut gehen! [Ps. 127,2] Und denen, die durch erlaubte Arbeit ihren Unterhalt suchen, verspricht Gott die Frucht seiner Güte in folgender Stelle: Segen wird der Herr über deine Kornböden senden, und über alle Werke deiner Hände; und er wird dich segnen. [Deut. 28,8]
Wir bitten aber Gott nicht nur, dass er uns erlauben möge, das zu gebrauchen, was wir durch unsern Schweiss und unsere Kraft mit dem Beistande seiner Güte erworben haben; denn diess nennen wir eigentlich unser: sondern wir verlangen auch die gute Gesinnung, dass wir das rechtlich Erworbene ebenso recht und weise gebrauchen können.

Tägliches

 

XIII. Warum auch das Wort täglich beigefügt werde. 

 

Auch dieses Wort bezeichnet die Mässigkeit und Sparsamkeit, von der wir vorhin geredet haben. Denn wir begehren nicht mancherlei oder küstliche Nahrung, sondern eine solche, welche das Bedürfniss der Natur befriedigt, auf dass sich bei dieser Bitte jene schämen sollen, welche gemeine Speise und gemeinen Trank verschmähen, und nach den ausgesuchtesten Sorten von Speisen und Weinen haschen. Ebenso werden durch diesen Ausdruck Tägliches jene getadelt, über welche Isaias folgende fürchterliche Drohungen aussprach: Wehe euch, die ihr Haus an Haus reihet, und Acker mit Acher verbindet, bis kein Platz mehr übrig ist. Wollt ihr denn allein im Lande wohnen? [Isai. 5,6] Unerklärlich ist die Leidenschaft jener Menschen, von welchen Salomon geschrieben hat: Der Geizige wird des Geldes nicht satt. [Eccles. 5,9] Hieher gehört auch der Ausspruch des Apostels: Die reich werden wollen, fallen in Versuchung und Fallstricke des Teufels. [I. Tim. 6,3]
Wir nennen es ferner tägliches Brod, weil wir es geniessen, um die Lebenssäfte zu ersetzen, die täglich durch die Wirkung der natürlichen Wärme verzehrt werden. Ferner bedeutet dieses Wort, dass wir immerdar darum beten sollen, um in dieser Gewohnheit Gott zu lieben und zu verehren, zu verharren, und innigst überzeugt zu werden, dass, wie es auch wahr ist, unser Leben und Heil von Gott abhänge.

 

Gib uns. 

 

XIV. Was diese zwei Worte, gib uns, bedeuten. 

 

Jedermann sieht, wie vielen Stoff zur Ermahnung der Gläubigen diese zwei Worte darbieten, damit sie die unendliche Macht Gottes, in dessen Hand Alles ist, fromm und heilig anbeten und verehren und jene gotteslästerliche Prahlerei des Satans verabscheuen: Mir ist Alles übergeben; und ich gebe es, wem ich will. [Luc. 4,6] Denn durch den Wink Gottes allein ist Alles verteilet, wird erhalten und gedeihet.

 

XV. Warum die Reichen, obschon sie an allen Dingen Ueberfluss haben, diese Worte gebrauchen sollen. 

 

Aber, möchte jemand einwenden, was haben die Reichen nothwendig, um das tägliche Brod zu bitten, da sie Ueberfluss haben an allen Dingen? Es ist für sie nothwendig, so zu beten, nicht damit ihnen gegeben werde, was sie durch Gottes Güte schon reichlich haben, sondern damit sie nicht verlieren, was sie im Ueberflusse besitzen. Desswegen sollen sie wie der Apostel schreibt, daraus lernen, nicht hochmüthig zu seyn, nicht zu vertrauen auf ungewissen Reichthum, sondern auf den lebendigen Gott, der uns Alles reichlich darbietet zum Genüsse. [I. Tim. 6,17]
Der heilige Chrysostomus führet als Ursache für die Notwendigkeit dieser Bitte an, dass uns nicht nur die Speise ausreiche, sondern dass uns dieselbe Gottes Hand mittheile, welche, indem sie dem täglichen Brode gesunde und so heilsame Kraft verleihet, dadurch bewirkt, dass sowohl die Speise dem Körper nütze, als auch der Körper der Seele diene.

 

XVI. Warum wir sprechen, G i b u n s, und nicht gib mir. 

 

Aber was ist wohl die Ursache, warum wir gib uns in der mehrfachen Zahl sprechen, nicht aber gib mir? Weil die christliche Liebe das Eigene hat, nicht dass jeder bloss für sich selbst bekümmert ist, sondern dass er überdiess für den Nächsten arbeite, und bei der Sorge für den eigenen Nutzen auch anderer gedenke. Dazu kömmt, weil die Gaben, welche Einem von Gott verliehen werden, ihm nicht desswegen mitgetheilet sind, dass er sie allein besitze, oder in ihnen schwelge, sondern dass er auch andern mittheile von dem, was er über sein Bedürfniss besitzet. Die heiligen Basilius und Ambrosius sagen: Das Brod, das du vorenthältst, gehört den Hungrigen; das Kleid, das du im Kasten verschliessest, gehört den Nackten, das Geld, das du in die Erde verscharrest, ist ein Lösegeld und ein Kaufpreis der Unglücklichen.

Heute.

 

XVII. An was das beigesetzte Wert, Heute, erinnere. 

 

Dieses Wort ermahnet uns an die gemeinsame Schwäche. Denn wer hoffet nicht, dass er sich wenigstens auf einen Tag Lebensmittel erwerben werde, wenn er auch nicht hoffen kann, sich mit den nöthigen Auslagen für das Leben auf längere Zeit vorzusehen? Aber Gott erlaubt uns nicht einmal, dieses Vertrauen zu haben, da er uns befohlen hat, ihn täglich um Speise zu bitten. Aus diesem Ausspruche folgt nothwendig, dass wir, weil wir alle tägliches Brod bedürfen, auch täglich das Gebet des Herrn verrichten sollen. So viel von dem Brode, welches, mit dem Munde genossen, den Körper nähret und stärket, und das gemeinsam allen mitgetheilt wird, den Gläubigen und Ungläubigen, den Guten und Bösen, durch die wunderbare Güte Gottes, der seine Sonne über die Guten und Bösen aufgehen und über die Gerechten und Ungerechten regnen lässt. [Matth. 5,45]

 

XVIII. Was unter dem geistigen Brode, welches diese Bitte auch in sich schliesst, hier verstanden werden müsse. 

 

1) Die Speise der Seele ist, so wie die des Körpers, vielfach. Das Wort Gottes bedeutet Brod. 2) Wann Gott durch den Hunger seines Wortes den Menschen drücke.

I. Es erübriget noch, von dem geistigen Brode zu reden, um das wir hier ebenfalls bitten. Hierunter versteht man alles, was in diesem Leben zum Heile und zur Wohlfahrt des Geistes und der Seele erfordert wird. Denn wie die Speise, womit der Körper ernähret und erhalten wird, mannigfaltig ist, so ist auch die Nahrung, welche das Leben des Geistes und der Seele erhält, nicht von einerlei Art; auch das Wort Gottes ist eine Speise der Seele. Die Weisheit spricht nämlich: Kommet, esset mem Brod, und trinket den Wein, den ich euch gemischt habe. [Prov. 9,5]
II. Wenn aber Gott den Menschen die Kraft dieses Wortes entzieht, was er gewöhnlich thut, wenn er von uns durch schwere Sünden beleidigt wird: da sagt man, er drücke das Menschengeschlecht durch Hunger. Also heisst es bei Arnos: Siehe, es kommen die Tage, spricht der Herr, da ich Hunger sende ins Land: nicht Hunger nach Brod, noch Durst nach Wasser, sondern zu hören das Wort des Herrn. [8,11] Wie es aber ein sicheres Zeichen des baldigen Todes ist, wenn die Menschen keine Speise mehr zu sich nehmen, oder die genossene nicht bei sich behalten können; so ist es auch ein starker Beweis, dass die Hoffnung der Seligkeit verloren sey, wenn die Menschen entweder das Wort Gottes nicht suchen, oder, wenn es da ist, dasselbe nicht annehmen, und Gott mit jenen Worten lästern: Geh weg von uns, und die Erkenntniss deiner Wege wollen wir nicht. [Job. 21,14] In dieser Seelenwuth und Geistesblindheit befanden sich diejenigen, welche ihre rechtmässigen Vorsteher, die katholischen Bischöfe und Priester verachten, von der heiligen römischen Kirche abfallen, und sich der Lehre der Ketzer, die das Wort Gottes verfälschen, ergeben haben.

 

XIX. Von dem wahren Himmelsbrode, welches Christus der Herr ist. 

 

Christus der Herr ist aber auch ein Brod, die Speise der Seele; denn er selbst sagt von sich: Ich bin das lebendige Brod, das vom Himmel herabgekommen ist. [Joa. 6,41] Es ist unglaublich, mit welcher Lust und Freude dieses Brod die Seelen der Frommen erfüllet, vorzüglich dann, wenn sie von irdischen Beschwerden und Ungemach heimgesucht werden. Als Beispiel hievon haben wir die heilige Apostelschaar, von welchen es heisst: Sie aber gingen freudig vom Angesichte des Rathes hinweg. [Act. 5,41] Mit dergleichen Beispielen sind die Bücher vom Leben heiliger Menschen angefüllet; und von diesen innerlichen Freuden guter Menschen spricht Gott also: Wer überwindet, dem will ich vom verborgenen Manna geben. [Apos. 2,17]

 

XX. Christus ist wirklich im Sakramente des Altares enthalten, und heisst desswegen im eigentlichen Sinne unser Brod. 

 

Vorzüglich aber ist unser Brod Christus der Herr selbst, der im Sakramente der Eucharistie wesentlich enthalten ist. Dieses unerklärbare Unterpfand der Liebe gab er uns, ehevor er zum Vater zurückkehrte, und sprach: Wer mein Fleisch isst, und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich in ihm. [Joa. 6,57] Nehmet hin, und esset, das ist mein Leib. [I.Cor. 11,24]
Das, was den Nutzen des gläubigen Volkes betrifft, können die Seelsorger aus der Stelle entnehmen, wo von der Kraft und Bedeutung dieses Sakramentes besonders gehandelt wird. Aber dieses Brod heisst auch desswegen unser Brod, weil es nur für die gläubigen Menschen, d. h. für die gehört, welche Liebe mit Glauben vereinend, durch das Sakrament der Busse den Unrath der Sünden wegwaschen; welche niemals vergessen, dass sie Kinder Gottes sind, und das göttliche Sakrament mit der grösstmöglichsten Heiligkeit und Ehrfurcht empfangen und anbeten.

 

XXI. Warum die Eucharistie unser tägliches Brod genannt werde. 

 

Warum es aber tägliches Brod genannt werde, das geschieht aus einem zweifachen Grunde, erstens, weil es bei den heiligen Geheimnissen der christlichen Kirche täglich sowohl Gott dargebracht, als auch denen, die es mit frommen und heiligem Sinne begehren, gereicht wird; zweitens, weil es täglich empfangen werden, oder weil man doch so leben soll, dass wir es täglich, in so weit diess geschehen kann, würdig empfangen können. Die, welche der entgegengesetzten Meinung sind, und glauben, man dürfe diese heilsame Speise der Seele nur nach langen Zwischenräumen empfangen, mögen vernehmen, was der heilige Ambrosius sagt: „Wenn es ein tägliches Brod ist, warum empfängst du es erst nach einem Jahre?"

 

XXII. Wie wir gesinnt seyn müssen, wenn wir das begehrte Brod nicht sogleich erlangen. 

 

Bei dieser Bitte müssen die Gläubigen besonders daran erinnert werden, dass sie, wenn sie die erforderliche Klugheit und allen Fleiss zur Erwerbung ihrer Lebensbedürfnisse angewendet haben, den Ausgang der Sache Gott überlassen und ihr Verlangen seinem Willen unterwerfen sollen, der nicht wird wanken lassen ewiglich den Gerechten. [Ps. 54,23] Denn entweder wird Gott gewähren, um was man bittet, und die Menschen werden so ihren Wunsch erfüllet sehen; oder er wird es nicht gewähren und das ist der sicherste Beweis, dass weder heilsam, noch nützlich wäre, was Gott den Frommen versagt, da er grössere Sorgfalt trägt für ihr Heil, als sie selbst. Diese Stelle können die Seelsorger mit jenen Gründen gelegen, welche vom heil. Augustin im Briefe an Proba vortrefflich angeführet sind.

 

XXIII. Was man hier für Betrachtungen anstellen könne. 

 

Das Letzte bei der Abhandlung dieser Bitte ist, dass sich die Reichen erinnern sollen, dass sie ihr Vermögen und ihren Reichthum Gott zu verdanken haben, und bekennen sollen, sie seyen desswegen mit diesen Gütern gesegnet, damit sie den Dürftigen davon mittheilen. Hiemit stimmt überein, was der Apostel im ersten Brief an Timotheus sagt; woraus die Seelsorger eine Menge göttlicher Vorschriften entnehmen können, um diese Stelle nützlich und heilsam zu beleuchten. [I. Tim. 6,17-19]

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen