Donnerstag, 22. August 2013

Vom fünften Gebote - Catechismus Romanus

Römischer Katechismus (Catechismus). Nach dem Beschlusse des Conciliums von Trient und auf Befehl des Pabstes Pius V. herausgegeben. Passau, Druck und Verlag von Friedrich Winkler 1839

 

Dritter Theil - Sechstes Hauptstück

Vom fünften Gebote. - Du sollst nicht tödten.

 

I. Welches die Frucht und der Nutzen der Lehre sey, die in diesem Gebote enthalten ist. 

 

Jene grosse Glückseligkeit, welche den friedfertigen Menschen bestimmt ist, .. . denn sie werden Kinder Gottes genannt werden, [Matth. 9,5] soll die Seelsorger vorzüglich aneifern, den Unterricht über dieses Gebot den Gläubigen sorgfältig und genau vorzutragen; denn es gibt keinen bessern Weg, die Hertzen der Menschen zu versöhnen, als wenn der Inhalt dieses Gebotes, richtig dargestellt, und daselbe von Allen so, wie es sich gehört, gewissenhaft beobachtet wird; weil man dann hoffen kann, dass die Menschen von gleicher Gesinnung des Herzens vereinigt, Eintracht und Friede eifrigst bewahren. Wie nothwendig es aber sey, dieses Gebot zu erklären, ersieht man daraus, dass nach jener allgemeinen Ueberschwemmung der Erde Gott den Menschen diess Eine verboten hat: Das Blut eurer Seelen will ich von der Hand aller Thiere fordern, und von der Hand des Menschen. [Gen. 9,5] Auch im Evangelium ist das erste von den alten Gesetzen, die der Herr erkläret hat, dieses, worüber beim h. Matthäus so geschrieben seht: Den Alten ist gesagt worden: du sollst nicht tödten; [Matth. 5,21] und das übrige, was hierüber an jener Stelle und nachher erwähnet wird, Ueberdiess sollen die Glaubigen dieses Gebot aufmerksam und gerne vernehmen, denn wenn man seine Wirkung betrachtet, trägt es sehr viel zum Schutze des Lebens eines Jeden bei, weil durch die Worte, Du sollst nicht tödten, der Menschenmord durchaus verboten ist. Desshalb sollen es alle Menschen mit eben,solcher Seelenfreude aufnehmen, als wenn mit Androhung des Zornes Gottes und anderer sehr schwerer Strafen, namentlich verboten würde, dass keiner von ihnen verletzt werden soll. Wie daher dieses Gebot schon angenehm zu hören ist, so muss auch die Verhütung jener Sünde, die dadurch verboten wird, angenehm seyn.

 

II. Was dieses Gebot verbiete und gebiete. 

 

Als der Herr den Inhalt dieses Gebotes erklärte, zeigte er, es seyen zwei Gebote darin enthalten, das eine, dass wir nicht tödten sollen, was uns zu thun verboten, ist; das andere, was uns zu thun geboten ist, dass wir die Feinde mit einträchtiger Freundschaft und Liebe umfassen sollen; dass wir Friede halten mit Allen; endlich alle Unbequemlichkeiten geduldig ertragen.

III. Es ist erlaubt, die Thiere zu essen und zu schlachten. 

 

Beim Verbote des Todschlages ist vor Allem zu lehren, was für Tödtungen durch dieses Gesetz verboten werden. Thiere zu tödten, ist nicht verboten; denn wenn der Herr den Menschen erlaubt hat, sie zu essen, so muss es ihnen auch erlaubt seyn, sie zu tödten. Hierüber schrieb der heilige Augustin so:
Wenn wir sagen hören: Du sollst nicht tödten, so verstehen wir diess nicht Von Gesträuchen, denn sie haben ja keine Empfindung; noch auch von den unvernünftigen Thieren, weil sie mit uns in keiner Verbindung stehen.

 

IV. Es ist erlaubt, die Menschen gerichtlich zum Tode zu verurtheilen, oder zu tödten. 

 

Eine andere Art von Tödtung ist erlaubt, die jenen Obrigkeiten zusteht, welche die peinliche Gerichtsbarkeit ausüben, wenn sie nach der Vorschrift und dem Urtheile der Gesetze lasterhafte Menschen bestrafen, und die Unschuldigen in Schutz nehmen. Wenn sie dieses Amt gerecht verwalten, sind sie nicht nur nicht des Todschlages schuldig, sondern sie vollziehen das göttliche Gesetz, wodurch der Mord verboten wird. Denn da diess Gesetz zur Absicht hat, für das Leben und die Wohlfahrt der Menschen zu sorgen, so zielen die Strafen der Obrigkeiten, welche die rechtmässigen Rächer der Verbrechen sind, gleichfalls dahin ab, dass Verwegenheit und Gewalttätigkeit durch schwere Strafen unterdrückt, und das Leben der Menschen sicher sey. Daher sprach David: Frühe will ich tödten alle Sünder des Landes, damit ich ausrotte aus der Stadt des Herrn alle Uebelthäter. [Ps. 100,8]

 

V. Wie auch die, welche in einem gerechten Kriege tödten, nicht des Mordes schuldig seyen. 

 

In dieser Hinsicht sündigen nicht einmal jene, welche in einem gerechten Kriege, nicht von Leidenschaft und Grausamkeit getrieben, sondern allein des öffentlichen Nutzens wegen, den Feinden das Leben nehmen. Solche erlaubte Tödtungen sind ferner die, welche namentlich auf Befehl Gottes geschehen. Die Söhne Levi sündigten nicht, als sie an einem Tage so viele tausend Menschen tödteten. Nach dieser Schlacht redete sie Moses so an: Ihr habt heute eure Hände dem Herrn geweiht. [Exod. 32,29]

 

VI. Dieses Gebotes ist der nicht schuldig, welcher einen Menschen aus Zufall tödtet. 

 

Auch ist dieses Gebotes der nicht schuldig, welcher nicht freiwillig, nicht mit Bedacht, sondern zufällig, einen Menschen tödtet; hierüber steht im Deuteronomium geschrieben: Wer seinen Nächsten erschlagen hat ohne Wissen, und, wie zu erweisen, keinen Hass gegen ihn gehabt hat, weder gestern nach ehegestern: sondern arglos mit ihm in den Wald ging, Holz zu hauen, und das Holz hieb, dass die Axt seiner Hand entfuhr, und das Eisen aus dem Stiele fiel, und seinen Freund traf, und ihn tödtete. [Deut. 19,4.5.] Solche Tödtungen werden, da sie nicht mit Willen, und nicht vorsätzlich zugefügt werden, desswegen auch nicht unter die Sünden gerechnet. Auch der Ausspruch des h. Augustin beweiset diess; er sagt: Ferne sey es, jenes, was wir wegen etwas Guten oder Erlaubten thun, wenn dabei wider unsern Willen etwas Böses sich ereignet, uns zuzurechnen.

 

VII. Wer des Mordes schuldig ist, welcher aus Zufall einen Todschlag begangen hat. 

 

Hierin kann man jedoch aus zweierlei Ursachen sündigen; erstens, wenn Jemand sich mit etwas Unrechtem beschäftigt, und dabei einen Menschen tödtet; z. B. Wenn Jemand eine schwangere Frau mit der Faust oder dem Fusse stösst, und hieraus eine zu frühe Geburt erfolgte, so läge diess zwar ausser dem Willen des Thäters, aber nicht ausser seiner Schuld, da es ihm nicht erlaubt ist, eine schwangere Frau zu schlagen. Zweitens wenn Jemand nicht genau Acht gibt, und einen Menschen aus Unachtsamkeit und Unvorsichtigkeit tödtet.

 

VIII. Es ist auch erlaubt, um seiner eigenen Rettung willen einen andern zu tödten. 

 

Wenn Jemand, um sein eigenes Leben zu vertheidigen, mit Anwendung aller möglichen Vorsicht, einen andern getödtet hat, so erhellt aus der nämlichen Ursache, dass er sich dieses Verbotes nicht schuldig mache. Diese so eben angeführten Tödtungen nun sind die, welche nicht unter diesem Gebote des Gesetzes begriffen sind; mit Ausnahme dieser sind alle übriges verboten, man mag nun auf den Todschläger oder auf den der getödtet wird, oder auf die Arten der Tödtung Rücksicht nehmen.

 

IX. Niemanden ist es erlaubt aus eigner Macht einen zu begehen

 

Was die betrifft, welche einen Mord begehen, so ist Niemand ausgenommen, nicht Reiche, nicht mächtige Menschen, nicht Herren, nicht Eltern, sondern Allen, ohne jede Ausnahme und ohne Unterschied ist es verboten zu tödten.

 

X. Es gibt Niemanden welcher durch dieses Gesetz nicht geschützt wird

 

Wenn man auf die sieht, welche getödtet werden so umfasst dieses Gesetz Alle: und Niemand ist eines so niedrigen und verachteten Standes, dem nicht der Schutz dieses Gesetzes zu Theil werden sollte. Auch ist es Niemandem erlaubt sich selbst zu tödten; da Niemand so über sein Leben Herr ist, dass es ihm erlaubt wäre sich nach eigener Willkühr den Tod zu geben; desswegen lautet das Gesetz nicht: Du sollst keinen andern tödten, sondern einfachhin: Du sollst nicht tödten.

 

XI. Auf wievielfache Weise diess Gesetz übertreten werden könne

 

Mögen wir nun die vielfache Art einen Todschlag zu begehen, betrachten, so ist auch hier Niemand ausgenommen. Denn es ist nicht nur nicht erlaubt, einen Menschen mit eigenen Händen, oder mit einem Schwerte, oder Steine, oder Stocke, oder Stricke, oder Gift das Lebeqn zu rauben, sondern es ist auch verboten durch Rath, oder Beistand, oder Hilfieistung, oder auf was immer für eine andere Weise daran Theil zu nehmen. Und es war die grösste Ungeschicklichkeit und Thorheit der Juden, dass sie glaubten dieses Gebot zu halten, wenn sie nur nicht mit eigenen Händen mordeten. Allein für einen Christen, welcher nach der Auslegung Christi, dieses Gesetz, als ein geistiges erkannt hat, nämlich als ein solches, das befiehlt, nicht nur seine Hände rein zuhalten, sondern auch die Seele schuldlos und unbefleckt zu bewahren, ist diess noch nicht hinlänglich, was jene für überflüssig genug hielten; denn es ist nicht einmal erlaubt, Jemandem zu zürnen, wie im Evangelium gelehret wird, da der Herr spricht: Ich aber sage euch, dass ein Jeder, der über seinen Bruder zürnt, des Gerichtes schuldig seyn wird. Wer aber zu seinem Bruder sagt: Raca! wird des Rathes schuldig seyn: und wer sagt: Du Narr! wird des höllischen Feuers schuldig seyn. [Matth. 5,22]

 

XII. Wie Jemand durch Zürnen sündigen oder nicht sündigen kann.

 

Aus den vorhergehenden Worten ist klar, dass der nicht von Schuld frei sey, welcher seinem Bruder zürnet, wenn er auch den Zorn nicht ausbrechen lässt; derjenige aber, welcher ein Zeichen seines Zornes von sich gibt, schwer sündige; aber noch viel schwerer sündiget der, welcher sich nicht scheut, seinen Bruder hart anzufahren, und ihm einen Vorwurf zu machen, besonders dann, wenn er keine Ursache zum Zorne hat. Eine Ursache aber zum Zorne, welche von Gott und den Gesetzen erlaubt ist, besteht darin, wenn wir gegen jene strafend auftreten, die unserer Herrschaft und Gewalt untergeben sind, wenn sie etwas Unrechtes begangen haben. Denn der Zorn des Christen muss nicht aus Leidenschaft, sondern aus dem heiligen Geiste seinen Ursprung haben, da wir Tempel des heiligen Geistes, [1. Cor. 6,19] in welchen Jesus Christus wohnet, seyn sollen. .

 

XIII. Wie die Menschen dieses Gesetz vollkommen erfüllen, und wie viele sieh gegen dasselbe versündigen. 

 

Es ist überdiess von Gott vieles gelehret worden was zur vollkommnnen Erfüllung dieses Gesetzes gehört: dergleichen ist: Wenn man dem Uebel nicht widersteht, sondern: Wenn dich Jemand auf deinen rechten Backen schlägt, so reiche ihm auch den andern dar: und will Jemand mit dir vor Gerickt streiten, und dir deinen Rock nehmen, so lass ihm auch den Mantel; und wenn dich Jemand eine Meile zu gehen nöthiget, so gehe noch zwei Meilen mit ihm. [Matth. 5,39] Aus dem bereits Erwähnten kann man entnehmen, wie geneigt die Menschen zu jenen Sünden seyen, die durch dieses Gebot Verboten sind, und wie viele es gebe, welche, wo nicht mit der Hand, doch wenigstens im Herzen, das Verbrechen des Todschlages begehen.

 

XIV. Wie sehr in den heiligen Schriften Gott den Mord verabscheue. 

 

Da für diese so gefahrvolle Krankheit in den heiligen Schriften Heilmittel verordnet sind, so ist es Pflicht des Seelsorgers, dieselben den Gläubigen sorgfältig vorzutragen; besonders aber soll er sie einsehen lehren, welche furchtbare Sünde der Mord eines Menschen sey. Diess kann man aus sehr vielen und gewichtigen Zeugnissen der heiligen Schrift ersehen. Denn Gott verabscheuet in den heiligen Schriften den Mord eines Menschen so sehr, dass er sagt, er werde Ermordungen von Menschen an den Thieren bestrafen und befiehlt, das Thier, welches einen Menschen verletzt hat, todt zu schlagen; [Gen. 5,9] und er wollte auch aus keiner andern Ursache, dass der Mensch Abscheu vor dem Blute haben sollte, ausser um auf alle mögliche Weise die Seele und Hände vor dem grässlichen Morde eines Measchen zu bewahren.

 

XV. Beweis aus der Vernunft, wie gross das Verbrechen des Mordes sey. 

 

Die Mörder sind die ärgsten Feinde des menschlichen Geschlechtes und der Natur selbst, da sie, so viel an ihnen liegt, das ganze Werk Gottes zerstören, indem sie den Menschen aus dem Wege räumen, dessenwegen er alles, was erschaffen ist, gemacht zu haben bezeugt; ja da im Buche Genesis verboten ist [Gent. 9,6] , einen Menschen zu tödten, weil ihn Gott nach seinem Ebenbilde und Ihm ähnlich erschaffen hat; so fügt derjenige Gott eine schreiende Unbild zu, und scheint gleichsam an Ihn selbst gewalthätige Hand zu legen, der sein Ebenbild vernichtet. Als diess David in göttlicher Beschauung der Seele betrachtete, klagte er bitterlich über blutdürstige Menschen mit den Worten: Schnell sind ihre Füsse zum Blutvergiessen. [Ps. 13,3] Er sprach nicht schlechthin, sie tödten, sondern sie vergiessen Blut; und er sprach diese Worte aus, um die Grösse jenes verabscheuungswürdigen Verbrechens und ihre unmenschliche Grausamkeit darzustellen. Um nun deutlich zu zeigen, wie schnell sie gleichsam auf Antrieb des Teufels zu dieser Lasterthat hingerissen werden, sagte er: Ihre Füsse sind schnell.

 

XVI. Was in diesem Gebole Gott zu thun gebietet. 

 

Was Christus der Herr in diesem Gebote zu beobachten befiehlt, zielt dahin ab, dass wir mit allen Menschen Friede halten sollen. Denn er sagt bei Erklärung dieser Stelle: Wenn du deine Gabe zu dem Altare bringest, und dich daselbst erinnerst, dass dein Bruder etwas wider dich habe, so lass deine Gabe allda vor dem Altare, und gehe zuvor hin, und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komme, und opfere deine Gabe, [Matth. 5,23.24.] und das folgende. Diess soll der Seelsorger so erklären, dass er lehret, man müsse Alle ohne Ausnahme in Liebe umfassen; und zu dieser Liebe soll er die Gläubigen durch die Darstellung dieses Gebotes, so viel es ihm möglich ist, aneifern, weil hierin die Tugend der Nächstenliebe am meisten sich bewähret.
Da also durch dieses Gebot der Hass offenbar verboten ist, weil der, welcher seinen Bruder hasst, [1. Joh. 3,13] ein Menschenmörder ist, so folgt gewiss, dass dadurch die Liebe anbefohlen werde.

 

XVII. Welches die Liebespflichten seyen, die in diesem Gebote enthalten sind. 

 

Da durch dieses Gesetz die Liebe geboten wird, so werden dadurch auch alle jene Pliüchten und Handlungen befohlen, welche die Liebe zu begleiten pflegen. Der heilige Paulus sagt: Die Liebe ist geduldig, [I. Cor. 13,4]
Daher wird uns die Geduld geboten, in welcher wir, nach dem Ausspruche des Heilandes, unsere Seelen besitzen werden [Luc. 21, 19.] . Eine Begleiterin und Gefährtin der Liebe ist die Wohlthätigkeit, weil die Liebe [I. Cor. 13,14] gütig ist. Die "Tugend der Güte und Wohllhätigkeit aber, hat einen grossen Umfang, und ihre Pflicht besteht vorzüglich darin, den Armen das Nothwendige reichen, Speise den Hungrigen, Trank den Durstigen, und Kleider den Nackten; und je mehr einer unserer Hilfe bedarf, desto freigebiger sollen wir gegen ihn seyn.

 

XVIII. Wie die vollkommenste aller Liebespflichten die Liebe der Feinde sei.

 

Diese Pflichten der Wohlthätigkeit und Güte, welche schon an sich gar herrlich sind, werden noch glänzender, wenn wir sie gegen die Feinde üben. Denn der Heiland sagt: Liebet eure Feinde, thut Gutes denen, die euch hassen; [Matth. 5,44] und der Apostel ermahnet dazu mit den Worten: Wenn dein Feind Hunger hat, so speise ihn; wenn er Durst hat, so tränke ihn; denn thust du diess, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde du das Böse. [Röm. 12,20. 21.]
Wenn wir endlich das Gesetz der Liebe betrachten, wie sie gütig ist; so werden wir einsehen, dass dadurch alle Pflichten, welche Sanftmuth, Milde und andere dergleichen Tugenden betreffen, zu üben vorgeschrieben werden.

 

XIX. Wodurch vorzüglich die Nächstenliebe, die hier befohlen wird, sich zu erkennen gebe. 

 

Die bei weitem vortrefflichste Pflicht, die ganz mit Liebe erfüllt ist, in welcher wir uns besonders üben sollen, ist jene, dass wir Beleidigungen, die uns zugefügt worden sind, gelassen verzeihen und nachsehen. Um diess vollends zu bewirken, ermahnen uns oft die heiligen Schriften, wie oben angegeben wurde, indem sie diejenigen, welche diess thun, nicht nur seligpreisen, sondern auch behaupten, dass ihnen von Gott ihre Vergehungen verziehen seyen; die aber diess zu thun vernachlässigen, oder sich gar weigern, erlangen keine Verzeihung. Allein weil die Begierde nach Rache der menschlichen Seele fast angeboren ist, so muss der Seelsorger die grösste Mühe darauf verwenden, nicht nur zu lehren, es gezieme sich für einen Christen, Beleidigungen zu vergessen, und sie zu verzeihen, sondern er soll die Gläubigen auch hiezu bereden. Da hierüber bei den heiligen Schriftstellern oftmals Erwähnung geschieht, so soll er sie zu Rathe ziehen, um die Hartnäckigkeit jener zu besiegen, welche starrsinnig und unbeugsam auf ihrer Rachgierde beharren. Er soll die Beweise bereit haben, welche die Väter hiebei als die gewichtigsten und dieser Sache angemessensten mit frommem Sinne anwendeten.

 

XX. Aus welchen Gründen vorzüglich der Hass soll unterdrückt, und die Gläubigen zum Vergessen der Beleidigungen bewogen werden sollen. 

 

Es sollen vorzüglich diese drei Punkte erkläret werden. Erstens soll man den, der sich für beleidigt hält, vor allem zu überzeugen suchen, dass der, an dem er sich rächen will, nicht die Hauptursache des Schadens und der Kränkung sey. So machte es jener bewunderungswürdige Hiob, der von sabäischen Männern, von Chaldäern und vom Teufel schwer beschädigt, doch keine Rücksicht auf sie nahm, und als ein rechtschaffener und frommer Mann sich in seinem geraden und frommen Sinne jener Worte bediente: Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen. [Job. 1,21]
Nach dem Beispiele und der Rede also jenes so geduldigen Mannes sollen die Christen der Ueberzeugung seyn, die auch gewiss ganz wahr ist, alles, was wir in diesem Leben leiden, komme vom Herrn, dem Vater und der Quelle aller Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.

 

XXI. Die Menschen, welche uns verfolgen, sind Diener und Knechte Gottes, wenn sie es auch aus bösem Willen thun. 

 

Gott, dessen Güte unermesslich ist, straft uns nicht als Feinde, sondern er bessert und züchtiget uns als Kinder. Und wahrlich, wenn wir es genau betrachten, sind hiebei die Menschen gar nichts anderes, als Diener und Knechte Gottes, und obschon der Mensch einen andern hassen, und ihm das Schlimmste wünschen kann, so vermag er doch nicht, ohne Zulassung Gottes ihm auf irgend eine Weise zu schaden. Aus diesem Grunde wurde Joseph bewogen [Gen. 45,5] , die ruchlosen Rathschläge seiner Brüder, und David [3. Regg. 16,10] die ihm von Semei zugefügten Unbilden gelassen zu ertragen. Hiezu trägt auch jene Beweisart bei, welche der h. Chrysostomus gründlich und gelehrt dargestellt hat ; nämlich jedermann werde nur durch sich selbst verletzt; denn die sich für übel behandelt halten, werden, wenn sie die Sache bei sich recht erwägen, wahrlich inne werden, dass ihnen von andern keine Unbild und kein Schaden zugefügt worden sey; denn obschon das, wodurch sie beleidigt werden, von aussen kommt, so beleidigen sie sich doch selbst am meisten, da sie ihre Seele mit Hass, Leidenschaft und Neid unerlaubter Weise beflecken.

 

XXII. Welche Vortheile jene erlangen, die Unrecht gerne verzeihen.

 

Zweitens erlangen diejenigen zwei besondere Vortheile, welche aus frommer Liebe zu Gott Beleidigungen gerne verzeihen. Der erste besteht darin, weil denen, die fremde Schulden nachlassen, Gott versprochen hat, dass auch sie Verzeihung der Sünden erlangen werden; aus welchem Versprechen man sieht, wie angenehm ihm dieser Liebesdienst sey. Der Zweite Vortheil ist der, dass wir eine gewisse Würde und Vollkommenheit erlangen, weil wir durch Verzeihung von Beleidigungen einigermassen Gott ähnlich werden, der seine Sonne über die Guten und Bösen aufgehen, und über die Gerechten und Ungerechten regnen lässt. [Matth. 5,45]

 

XXIII. Welche und wie viele Nachtheile aus dem Hasse der Feinde entspringen. 

 

Endlich sollen jene Nachtheile dargestellt werden, in welche wir uns dann stürzen, wenn wir die uns zugefügten Beleidigungen nicht verzeihen wollen. Daher soll der Seelsorger jenen, die nicht dahingebracht werden können, ihren Feinden zu verzeihen, vorstellen, der Hass sey, nicht nur eine schwere Sünde, sondern er wurzle auch durch die Andauer des sündhaften Zustandes tiefer ein; denn da derjenige, in dessen Seele diese Leidenschaft Platz genommen hat, nach dem Blute seines Feindes dürstet, so befindet er sich, erfüllt mit der Hoffnung, sich an jenem zu rächen, Tag und Nacht in einer bestündigen üblen Gemüthsunruhe, sodass er nie vom Gedanken an Mord oder an eine andere verwegene Handlung abzustehen scheint. Dadurch geschieht, dass er entweder nie, oder doch nur durch die äusserste Mühe bewogen wird, entweder gänzlich zu verzeihen, oder doch wenigstens zum Theile die Beleidigung zu vergeben; daher wird er ganz richtig mit einer Wunde verglichen, in welcher der Pfeil noch steckt.

 

XXIV. Es wird gezeigt, dass aus dem Hasse viele Sünden entstehen. 

 

Es gibt ausserdem noch viele Nachtheile und Sünden, die mit dieser Einen Sünde des Hasses, gleich einem Bande, verbunden sind. Desswegen sprach hierüber der h. Johannes so: Wer seinen Bruder hasst, der ist in der Finsterniss, und wandelt in der Finsterniss, wohin er geht, weil die Finsterniss seine Augen verblendet. [1. Joa. 2,11] Er muss also öfters fallen. Wie kann es auch geschehen, dessen Reden oder Handlunlungen zu loben, den man hasset? Daher entstehen die verwegenen und ungerechten Urtheile, Zorn, Hass, Verkleinerungen, und anderes dergleichen, worein auch jene verwickelt werden, die entweder durch Verwandtschaft oder Freundschaft mit ihnen in Verbindung stellen. So ereignet es sich oft, dass aus einer Sünde viele hervorgehen, und nicht mit Unrecht nennt man diese Sünde des Teufels Sünde, weil er ein Mörder war von Anfang an. Desshalb sagte auch der Sohn Gottes, unser Herr, Jesus Christus , als ihm die Pharisäer nach dem Leben strebten, sie hätten den Teufel zum Vater. [Joa. 8,44]

 

XXV. Heilmittel gegen die Sünde des Hasses. 

 

Ausser dem Vorgetragenen, woher die Gründe zur Verabscheuung dieses Lasters genommen werden können, sind uns auch noch andere Gegenmittel, und zwar sehr passende, von den heiligen Schriften an die Hand gegeben. Das erste und wirksamste Gegenmittel ist das Beispiel unsers Heilandes, das wir uns zur Nachahmung vorstellen müssen. Denn er, obschon nicht der geringste Verdacht eines Vergehens auf ihn fallen konnte, ist mit Ruthen gehauen, mit Dornen gekrönt, und zuletzt an's Kreuz geheftet worden, und da sprach er die liebevollen Worte: Vater, verzeih ihnen; denn sie wissen nicht, was sie thun. [Luc. 23,34] Sein vergossenes Blut sagt der Apostel, redet besser als Abel. [Hebr. 12,34]
Als zweites Heilmittel gab der Ecclesiastikus an, die Erinnerung an den Tod, und an jenen Tag des Gerichtes. In allen deinen Werken, sagt er, gedenke an deine letzten Dinge, und du wirst in Ewigkeit nicht sündigen. [Eccl. 7,40] Diess heisst so viel, als wenn er sagte: Denke oft und vielmal daran, dass du einst sterben wirst; besonders weil es dir dann sehr erwünscht seyn wird, und äusserst nothwendig, die unendliche Barmherzigkeit Gottes zu erlangen, so musst du sie dir jetzt schon beständig vor Augen stellen. Dadurch wird geschehen, dass jene unmenschliche Rachgierde aus dir entweicht, da du, um Gottes Barmherzigkeit anzuflehen, kein tauglicheres und wirksameres Mittel finden wirst, als das angethane Unrecht zu vergessen, und die zu lieben, welche dich oder die Deinigen in der That oder mit Worten beleidiget haben.

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