Montag, 1. Juli 2013

Catechismus Romanus - Von den in den zehn Geboten enthaltenen göttlichen Gesetzen.

Römischer Katechismus (Catechismus). Nach dem Beschlusse des Conciliums von Trient und auf Befehl des Pabstes Pius V. herausgegeben. Passau, Druck und Verlag von Friedrich Winkler 1839


Dritter Theil - Erstes  Hauptstück  - Von den in den zehn Geboten enthaltenen göttlichen Gesetzen.






I. Es wird gezeigt, dass die zehn Gebote alle göttlichen Vorschriften enthalten. 

 

Die zehn Gebote, Dekalog, sind ein Auszug aller göttlichen Gesetze und Vorschriften.

Der heilige Augustin schrieb [Lib. 2 sup. Exod. q. 130.] , die zehn Gebote seyen ein Inbegriff und Auszug aller Gesetze. Obwohl der Herr Vieles gesprochen hat, so wurden dem Moses doch nur zwei steinerne Tafeln gegeben, welche die Tafeln des künftigen Zeugnisses in der Arche genannt werden. Mann erkennet nämlich, dass alles übrige, was Gott befohlen hat, aus jenen zehn Geboten, welche auf zwei Tafeln geschrieben wurden, bestehe, wenn man sie sorgfältig untersucht und richtig verstehe, wie auch hinwiederum die zehn Gebote selbst aus jenen zweien, nämlich aus der Liebe Gottes und des Nächsten, in welchen das ganze Gesetz besteht und die Propheten, hergeleitet werden. [Matth. 22,40]

 

II. Warum die Seelsorger hauptsächlich die zehn Gebote besprechen und auslegen sollen.

 

Da sie der Inbegriff des ganzen Gesetzes sind, so muss der Seelsorger sie Tag und Nacht betrachten, nicht blos, um sein eigenes Leben nach ihrer Vorschrift einzurichten, sondern auch um das ihm anvertraute Volk im Gesetze des Herrn zu unterrichten. Denn die Lippen des Priesters sollen Weisheit bewahren, und sie sollen das Gesetz aus ihrem Munde erforschen; weil er ein Engel des Herrn der Heerschaaren ist. [Malach. 2,7] Diess geht insbesonders die Priester des neuen Gesetzes an, welche näher bei Gott von Klarheit zu Klarheit müssen umgestaltet werden, gleichsam vom Geiste des Herrn; [II. Cor. 3,18] und da sie Christus der Herr ein Licht nannte, so ist es ihre Pflicht, das Licht derjenigen zu seyn, die in Finsterniss sind, Lehrer der Unwissenden, Unterrichter der Kinder, und wenn Jemand von einem Fehler übereilt wird, so sollen sie, die geistig sind, einen solchen zurecht weisen. [Gal. 6,1.]
Sie vertreten auch im Beichtstuhle die Person des Richters; und sprechen nach Art und Gattung der Sünde das Urtheil; wenn sie daher nicht wollen, dass ihre Unwissenheit sie selbst und auch Andere irre führe, so müssen sie hiebei sehr aufmerken, und in der Auslegung der göttlichen Gebote sehr geübt seyn, damit sie nach dieser göttlichen Regel [II. Tim. 4,3] über jede That und Unterlassung der Pflicht urtheilen können, und wie es beim Apostel heisst, sie sollen eine gesunde Lehre vortragen, d. h. eine solche, die keinen Irrthum enthält, und die Krankeiten der Seele, die Sünden, heilt; auf dass das Volk Gott angenehm sey,
übend gute Werke. Bei dergleichen Abhandlungen soll der Seelenhirt sich selbst und Andern das vor Augen stellen, was zur Befolgung des Gesetzes antreibt.

 

II. Wer der Urheber der zehn Gebote und des natürlichen Gesetzes sey. 

 

1) Gott ist der Urheber der zehn Gebote. 2) Gott gab das natürliche Gesetz. 3) Das naturliche Gesetz, durch fortdauernde Lasterhaftigkeit verdunkelt, wird durch das geschriebene Gesetz erneuert und beleuchtet.


Unter den übrigen Gründen, welche die Gemüther der Menschen zur Befolgung dieser Gebote antreiben können, ist jener am wirksamsten, dass Gott der Urheber dieses Gesetzes sey. Denn obschon der Apostel sagt, es sey durch die Engel gegeben, [Galat. 3,19] so kann doch Niemand daran zweifeln, dass Gott selbst der Urheber des Gesetzes sey; wovon nicht blos die Worte des Gesetzgebers selbst, welche kurz nachher werden ausgelegt werden, ein hinlänglich deutliches Zeugniss ablegen, sondern auch fast unzählige Schriftstellen, die den Seelsorgern allenthalben entgegenkommen.
II. Es gibt Niemanden, der nicht fühlte, es sey ihm von Gott ein Gesetz in die Seele gegeben, wodurch das Gute vom Bösen, das Anständige vom Schändlichen, das Gerechte vom Ungerechten unterscheiden kann; und da der Inhalt und die Beschaffenheit dieses Gesetzes von dem geschriebenen nicht verschieden ist, wer sollte zu läugnen wagen, Gott sey der Urheber, wie des innerlichen, so auch des geschriebenen Gesetzes.
III. Daher muss gelehret werden, dieses göttliche Licht, das durch die verderbten Sitten und durch die fortwährende Lasterhaftigkeit beinahe ganz verdunkelt war, habe Gott, da er dem Moses das Gesetz gab, vielmehr glänzender gemacht, als ein neues gegeben, damit, wenn das Volk hört, das Gesetz Mosis sey aufgehoben, es nicht vielleicht dafür halte, nicht schuldig zu seyn, diese Gesetze zu halten. Denn es ist gewiss, dass man diesen Geboten nicht desswegen gehorchen müsse, weil sie durch Moses gegeben sind, sondern weil sie allen Menschen angeboren, und durch Christus den Herrn erklärt und bestätigt worden sind.

 

IV. Wie das Volk zur Beobachtung des Gesetzes vom Gesetzgeber selbst aufgemuntert werden könne. 

 

Sehr viel wird beitragen, und zur Ueberzeugung ein grosses Gewicht haben, jener Gedanke, dass es Gott sey, der das Gesetz gegeben hat; denn an seiner Weisheit und Gerechtigkeit können wir nicht zweifeln, und seiner unendlichen Kraft und Macht nicht entgehen. Als daher Gott durch die Propheten befahl, das Gesetz zu beobachten, sprach er, dass er der Herr und Gott sey, und auch im Eingange des Dekaloges: Ich bin der Herr, dein Gott; [Exod. 20,2] und anderswo: Wenn ich der Herr bin, wo ist die Furcht vor mir? [Malach. 1,6]

 

V. Welche grosse Wohlthat es sey, von Gott das Gesetz erhalten zu haben. 

 

Es wird aber nicht blos die Gemüther der Gläubigen aufmuntern, die Gebote Gottes zu halten, sondern auch zur Danksagung aneifern, dass Gott seinen Willen, der unser Heil enthält, geoffenbaret hat.


Daher spricht die heil. Schrift nicht blos an einer Stelle diese so grosse Wohlthat aus, und ermahnet das Volk, seine Würde und die Güte des Herrn zu erkennen, wie im Deuteronomium: Das ist eure Weisheit und Einsicht vor den Völkern, dass sie, wenn alle diesen Geboten gehorchen, sprechen: Siehe ein weises und verständiges Volk, eine grosse Nation; [Deut. 4,6] und ferner im Psalme: Er that nicht so jeder Nation und offenbarte ihnen nicht seine Urtheile. [Ps. 147,20]

 

VI. Warum Gott einst den Israeliten sein Gesetz mit grosser Majestät geben wollte. 

 

Wenn der Seelsorger ferner die Beschaffenheit des gegebenen Gesetzes aus der heil. Schrift dargegestellt hat, so werden die Gläubigen leicht einsehen, wie heilig und demüthig man das von Gott erhaltene Gesetz ehren müsse; denn drei Tage, ehevor das Gesetz gegeben wurde [Exod. 19] , ist auf Befehl Gottes Allen aufgetragen worden, ihre Kleider zu waschen, die Weiber nicht zu berühren, auf dass sie heiliger wären und bereiter, das Gesetz zu empfangen, und am dritten Tage sollten sie gegenwärtig seyn. Als sie dann zum Berge hingeführt wurden, von dem herab ihnen Gott durch Moses das Gesetz geben wollte, ist dem Moses allein befohlen worden, den Berg zu besteigen; dahin kam nun Gott in grösster Majestät, umgab den Platz mit Donnern, Blitzen, Feuer und dichten Wolken, begann mit Moses zu sprechen, und gab ihm die Gesetze; diess that die göttliche Weisheit aus keiner andern Ursache, als um uns zu ermahnen, dass man mit keuschem und demüthigem Herzen das Gesetz aufnehmen müsse; würden wir aber die Gebote vernachlässigen, so stehen uns die von der göttlichen Gerechtigkeit angeordneten Strafen bevor.

 

VII. Wie das mit solchem Schrecken gegebene Gesetz von den Menschen erfüllt werden könne; und dass nichts leichtter sey, als die Liebe. 

 

1) Das Gesetz kann nicht blos beobachtet werden, sondern es ist sogar leicht zIu beobachten. 2) Die Kraft das Gesetz zu vollziehen, wird auch dem schwachen Menschen durch den heiligen Geist verliehen.

I. Der Seelsorger soll zeigen, die Gebote des Gesetzes seyen nicht einmal schwer, was er auf diese einzige Weise nach dem heil. Augustin lehren kann, da er sagt: „Wie, ich bitte dich, kann man sagen, es sey dem Menschen unmöglich, zu lieben; zu lieben, sage ich, den wohlthätigen Schöpfer, den liebevollsten Vater, und hernach auch sein eigenes Fleisch in seinem Mitmenschen?" Wer aber liebt,... hat das Gesetz erfüllt. [Röm. 13,8] Daher spricht der Apostel Johannes [I. Joa. 5,3] deutlich, die Gebote Gottes seyen nicht schwer, denn, es hätte, nach dem Ausspruche des heil. Bernhard, nichts gerechteres, nichts erhabeneres, nichts fruchtbringenderes vom Menschen verlangt werden können. Desshalb staunte der heil. Augustin über Gottes unendliche Güte und redet Gott selbst so an: „Was ist der Mensch, dass du von ihm willst geliebt werden? Und dass du, wenn er es nicht thut, ungeheuere Strafen androhest? Ist nicht schon diese Strafe gross genug, wenn ich dich nicht liebe?"
II. Wenn Jemand die Entschuldigung vorbringen möchte, die Schwäche der Natur hindere ihn, Gott zu lieben, soll gelehrt werden, Gott, der die Liebe gefordert hat, pflanze die Kraft der Liebe durch den Geist in unsere Herzen; [Röm. 5,5] denn dieser gute Geist werde vom himmlischen Vater denen verliehen, die ihn . . darum bitten [Luc. 11,13] , wie mit Recht der heil. Augustin gebetet hat: „Verleihe, was du befiehlst, und befiehl, was du willst." Da wir also Gottes Beistand haben, besonders durch den Tod Jesu Christi, durch welchen der Fürst dieser Welt ist hinausgeworfen worden, so ist kein Grund vorhanden, dass sich Jemand durch die Schwierigkeit der Sache abschrecken lassen soll; denn dem Liebenden ist nichts beschwerlich.

 

VIII. Sind alle Menschen durchaus zur Haltung des Gesetzes verbunden? 

 

1) Alle Menschen sind scluildig, das Gesetz zu halten. 2) Eine entgegengesetzte Ketzerei wird kurz widerlegt. 3) Was ein in Christo neues Geschöpf sey. Wie der Mensch auch ohne Werke gerechtfertigt werden könne.

I. Zur Ueberzeugung in dieser Sache wird sehr viel die Erklärung beitragen, dass man dem Gesetze nothwendig gehorsam seyn müsse, besonders da es zu unsern Zeiten nicht an Menschen fehlt, die sich nicht scheuten, gottloser Weise und zu ihrem eigenen grossen Unglücke, zu behaupten, das Gesetz, es sey nun schwer oder leicht, sey zur Seligkeit keineswegs nothwendig.
II. Diese schändliche und gottlose Meinung soll der Seelsorger durch die Zeugnisse der heiligen Schrift widerlegen, und vorzüglich durch den Apostel, durch dessen Autorität sie ihre Gottlosigkeit zu vertheidigen suchen. Was sagt also der Apostel: Nicht die Vorhaut, nicht die Beschneidung sey etwas, sondern die Beobachtung der zehn Gebote Gottes. [I. Cor. 7,19]
III. Da er aber den nämlichen Ausspruch anders wo wiederholt, [Galat. 6,15] und sagt, nur ein neues Geschöpf in Christo gelte etwas, so erkennen wir deutlich, dass er den ein neues Geschöpf in Christo nenne, der die Gebote Gottes hält. Denn der, welcher die Gebote Gottes hat, und sie hält, liebt Gott, wie der Herr selbst bei Johannes bezeugt: Wenn mich Jemand liebt, wird er meine Gebote halten. [Joh. 14,21] Obschon aber der Mensch gerechtfertigt, und aus einem Gottlosen ein Frommer werden kann, ehvor er alle Gebote des Gesetzes durch äusserliche Handlungen erfüllt, so ist es doch nicht möglich, dass der, welcher seinem Alter gemäss den Gebrauch der Vernunft hat, aus einem Gottlosen ein Frommer werde, wenn er nicht im Herzen bereit ist, alle Gebote Gottes zu beobachten.

 

IX. Welche Früchte jene erlangen, die das göttliche Gesetz beobachten. 

 

I. Damit endlich der Seelsorger nichts übergehe, wodurch das gläubige Volk zur Beobachtung des Gesetzes angetrieben werden kann, so soll er zeigen, wie reichlich und lieblich seine Früchte seyen. Diess kann er leicht aus dem Psalme XVIII. beweisen; denn in [Ps. 18,8] demselben wird das Lob des Gesetzes Gottes besungen, wovon bei weitem das grösste darin besteht, dass er Gottes Herrlichkeit und Majestät in ein helleres Licht stellt, als es selbst die Himmelskörper durch ihre Schönheit und Ordnung vermögen: die, gleichwie sie alle, auch die rohesten Nationen zu ihrer Bewunderung hinreissen, dadurch auch bewirken, dass sie in die Herrlichkeit, Weisheit und Macht des Schöpfers und Werkmeisters aller Dinge anerkennen. Das Gesetz des Herrn bekehrt die Seelen zu Gott, indem wir nämlich seine Wege und den heiligsten Willen Gottes durch das Gesetz kennen lernen, wenden wir unsere Schritte auf die Wege des Herrn. Und weil nur jene, die Gott fürchten, wahrhaft weise sind, so verleiht er dem Gesetze, die Weisheit den Kleinen mitzutheilen. Daher werden die, welche das Gesetz beobachten, mit wahrer Freude und mit der Erkenntniss der göttlichen Geheimnisse, ferner mit unendlicher Lust und Belohnung, sowohl in diesem Leben, als auch im jenseitigen überhäuft werden.

 

X. Da alles den Willen Gottes vollzieht, so wird gezeigt, es sey sehr billig, dass auch der Mensch jenen Willen befolge. 

 

Aber nicht sowohl unsers Vortheils wegen, sondern wegen Gott müssen wir das Gesetz beobachten, da er im Gesetze dem Menschengeschlechte seinen Willen geoffenbaret hat; und da die übrigen Geschöpfe ihn vollziehen, so ist es um so mehr billig, dass auch der Mensch ihn befolge. Auch darf nicht mit Stillschweigen übergangen werden, Gott habe besonders darin seine Liebe und die unendliche Fülle seiner Güte gegen uns gezeigt, dass er, da er uns ohne alle Belohnung hätte zwingen können, seiner Herrlichkeit zu dienen, doch seinen Ruhm mit unserm Vortheile verband, so dass jenes, was dem Menschen nützlich ist, ebenso Gott zur Verherrlichung gereichte.
Weil nun diess das grösste und vortrefflichste ist, so soll der Seelsorger lehren, wie auch der Prophet zuletzt ausgesprochen hat: In Beobachtung der Gesetze liege eine vielfache Vergeltung. [Ps. 18,12] Denn es sind uns jene Segnungen verheissen, welche sich mehr auf irdische Glückseligkeit zu beziehen scheinen, dass wir gesegnet seyen in der Stadt, gesegnet auf dem Felde, [Deut. 28,13] sondem es ist ein reichlicher Lohn im Himmel, und ein gutes Maass, [Matth. 5,12] ein volles, zusammengerütteltes, und überfliessendes vorgestellt [Luc. 6,38] , das wir durch fromme und gerechte Handlungen durch die Hülfe der göttlichen Barmherzigkeit verdienen.
Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Lande Aegypten geführt hat, aus dem Hause der Knechtschaft. Du sollst keine andern Götter neben mir haben. Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen u. s. f.
[Deut. 5,6]

 

XI. Wie das Gesetz Mosis die Menschen aller Zeiten verbindlich mache, und bei welcher Veranlassung es den Israeliten verkündet worden sey. 

 

I. Obschon dieses Gesetz den Juden vom Herrn auf dem Berge gegeben worden ist, so wollte doch Gott, dass ihm desswegen alle Menschen beständig gehorchen sollen, weil es von der Natur schon lange vorher allen Gemüthern eingeprägt und eingeschrieben war; und es wird sehr nützlich seyn, jene Worte, mit denen es durch den Diener und Dollmetscher Moses den Hebräern ist verkündet worden, und die Geschichte des Volkes Israel, welche voll von Geheimnissen ist, sorgfältig zu erklären:
II. Zuerst wird er darstellen, aus allen Nationen der Erde habe Gott die einzige auserwählt, welche vom Abraham abstammte; den er als einen Fremdling im Lande Canaan wohnen liess; und obschon er ihm dessen Besitz versprochen hatte, so wanderten doch dieser und seine Nachkommen länger als vierhundert Jahre umher, ehvor sie das verheissene Land in Besitz nahmen; und auf dieser ihrer Wanderschaft beschützte er sie immerdar durch seine Vorsehung. Sie wandelten von Volk zu Volk, von Reich zu Reich, [Ps. 104,15] aber nirgends liess er ihnen ein Leid geschehen; vielmehr trat er strafend gegen die Könige auf. Ehvor sie aber nach Aegypten hinabzogen, sandte er ihnen einen Mann voraus, durch dessen Vorsorge sie und die Aegyptier vor Hungersnoth bewahrt wurden. In Aegypten umfasste er sie mit solcher Güte, dass sie ohnerachtet des Widerstrebens und des auf ihren Untergang sinnenden Pharao, sich wunderbar vermehrten; und als sie tief gekränkt, und gleich Sklaven aufs härteste behandelt wurden, erweckte er ihnen den Moses zum Anführer, der sie mit mächtiger Hand fortführte. Insbesondere dieser Befreiung gedankt der Herr im Anfange des Gesetzes mit folgenden Worten: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Lande Aegypten, aus dem Hause der Sklaverei, führte. [Exod. 20,2]

 

XII. Warum die Juden von Gott zu seinem Volke erwählt wurden. 

 

Hiebei muss der Seelsorger vorzüglich das bemerken: Eine Nation sei aus allen von Gott auserwählt worden, die er sein Volk nannte, und dem er sich erkennen und verehren liess; nicht etwa weil es die übrigen Völker an Gerechtigkeit oder Anzahl übertraf, wie Gott die Hebräer erinnert, sondern weil es Gott so gefallen hat, vielmehr ein kleines und armes Volk, zu vermehren und zu bereichern [Deut. 7,7] , damit dadurch seine Macht und Güte bei Allen bekannter und glänzender würde. Da also der Zustand jener Menschen so beschaffen war, so vereinigte sich Gott mit ihnen, und liebte sie, [Deut. 10,15] so dass er sich, obschon er der Herr des Himmels und der Erde ist, nicht schämte, ihr Gott genannt zu werden, wodurch er die übrigen Nationen zur Nacheiferung aufrief, damit, wenn sie die Glückseligkeit der Israeliten sahen, alle Menschen sich zum Dienste des wahren Gottes wenden sollten; wie auch Paulus bezeugt [Röm. 11,14] , er reize sein Fleisch zur Nacheiferung durch Hinweisung auf die Glückseligkeit der Völker, und auf die wahre Erkenntniss Gottes, in der er sie unterrichtet hatte.

 

XIII. Warum die Hebräer viel und lange durch Leiden geprüft wurden, ehe sie das Gesetz erhielten. 

 

Hierauf soll man die Gläubigen belehren, Gott habe die hebräischen Väter lange herumwandern, er habe auch ihre Nachkommen durch die härteste Sklaverei drücken und drängen lassen, desswegen, damit wir belehrt würden, Freunde Gottes werden nur die Feinde der Welt und die Fremdlinge auf Erden; und daher werde man leichter in Gottes Freundschaft aufgenommen, wenn man durchaus nichts mit der Welt gemein habe; aber auch desswegen, dass wir, zur Verehrung Gottes gelangt, einsehen sollten, um wie viel glückseliger jene sind, welche Gott, als die, welche der Welt dienen, worüber uns die Schrift ermahnet, indem sie sagt: Jedoch sie sollen ihm dienen, dass den Unterschied meines Dienstes, und des Dienstes der Reiche der Erde inne werden. [II. Par. 12,8]
Ferner wird er erklären, nach mehr als vierhundert Jahren habe Gott seine Verheissung erfüllt, damit jenes Volk durch Glauben und Hoffnung genähret wurde. Denn Gott will, dass seine Zöglinge immer von ihm abhängig seyen, und auf seine Güte ihre Hoffnung setzen, wie in der Erläuterung des ersten Gebotes dargelegt werden wird.

 

XIV. Warum das Gesetz an einem solchen Orte und zu solcher Zeit gegeben wurde. 

 

Endlich wird der Seelsorger den Ort und die Zeit bemerken, wo das Volk Israel dieses Gesetz von Gott empfing; nämlich, nachdem es aus Aegypten geführt, in die Wüste kam, damit es durch die Erinnerung an die neuerlich empfangene Wohlthat angelockt, und durch die Unwirthsamkeit des Ortes, in dem es sich befand, erschreckt, zur Annahme des Gesetzes tauglicher gemacht wurde. Denn die Menschen werden jenen am meisten ergeben, deren Wohlthätigkeit sie erfahren haben, und sie nehmen zum Schutze Gottes ihre Zuflucht, wenn sie sich alles menschlichen Beistandes beraubt sehen. Hieraus kann man erkennen, dass die Gläubigen zur Aufnahme der himmlischen Lehre desto geneigter seyn werden, je mehr sie sich den Lockungen der Welt und den Vergnügungen des Fleisches entzogen haben; wie der Prophet geschrieben hat: Wen wird er in der Weisheit unterrichten? und wem wird er das Gehörte verstehen lassen? Den von der Milch Entwöhnten, den von der Brust Hinweggenommenen. [Isai. 28,9]

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