Dritter Theil - Erstes Hauptstück - Von den in den zehn Geboten enthaltenen göttlichen Gesetzen.
I. Es wird gezeigt, dass die zehn Gebote alle göttlichen Vorschriften enthalten.
Die zehn Gebote, Dekalog, sind ein Auszug aller göttlichen Gesetze und
Vorschriften.
Der heilige Augustin schrieb [Lib. 2 sup. Exod. q. 130.] , die zehn Gebote seyen ein
Inbegriff und Auszug aller Gesetze. Obwohl der Herr Vieles gesprochen hat, so
wurden dem Moses doch nur zwei steinerne Tafeln gegeben, welche die Tafeln des
künftigen Zeugnisses in der Arche genannt werden. Mann erkennet nämlich, dass
alles übrige, was Gott befohlen hat, aus jenen zehn Geboten, welche auf zwei
Tafeln geschrieben wurden, bestehe, wenn man sie sorgfältig untersucht und
richtig verstehe, wie auch hinwiederum die zehn Gebote selbst aus jenen zweien,
nämlich aus der Liebe Gottes und des Nächsten, in welchen das ganze Gesetz
besteht und die Propheten, hergeleitet werden. [Matth. 22,40]
II. Warum die Seelsorger hauptsächlich die zehn Gebote besprechen und auslegen sollen.
Da sie der Inbegriff des ganzen Gesetzes sind, so muss der
Seelsorger sie Tag und Nacht betrachten, nicht blos, um
sein eigenes Leben nach ihrer Vorschrift einzurichten, sondern auch um das ihm
anvertraute Volk im Gesetze des Herrn zu unterrichten. Denn
die Lippen des Priesters sollen Weisheit bewahren, und sie sollen das Gesetz aus
ihrem Munde erforschen; weil er ein Engel des Herrn der Heerschaaren ist.
[Malach. 2,7] Diess geht insbesonders die
Priester des neuen Gesetzes an, welche näher bei Gott von
Klarheit zu Klarheit müssen umgestaltet werden, gleichsam vom Geiste des Herrn;
[II. Cor. 3,18] und da sie Christus der Herr
ein Licht nannte, so ist es ihre Pflicht, das Licht derjenigen zu seyn, die in
Finsterniss sind, Lehrer der Unwissenden, Unterrichter der Kinder, und wenn
Jemand von einem Fehler übereilt wird, so sollen sie, die geistig sind, einen
solchen zurecht weisen. [Gal.
6,1.]
Sie vertreten auch im Beichtstuhle die Person des Richters; und
sprechen nach Art und Gattung der Sünde das Urtheil; wenn sie daher nicht
wollen, dass ihre Unwissenheit sie selbst und auch Andere irre führe, so müssen
sie hiebei sehr aufmerken, und in der Auslegung der göttlichen Gebote sehr geübt
seyn, damit sie nach dieser göttlichen Regel [II. Tim. 4,3] über jede That und Unterlassung der Pflicht
urtheilen können, und wie es beim Apostel heisst, sie sollen eine gesunde Lehre
vortragen, d. h. eine solche, die keinen Irrthum enthält, und die Krankeiten der
Seele, die Sünden, heilt; auf dass das Volk Gott angenehm sey,
übend gute
Werke. Bei dergleichen Abhandlungen soll der Seelenhirt sich selbst und Andern
das vor Augen stellen, was zur Befolgung des Gesetzes antreibt.II. Wer der Urheber der zehn Gebote und des natürlichen Gesetzes sey.
1) Gott ist der Urheber der zehn Gebote. 2) Gott gab das natürliche
Gesetz. 3) Das naturliche Gesetz, durch fortdauernde Lasterhaftigkeit
verdunkelt, wird durch das geschriebene Gesetz erneuert und beleuchtet.
Unter den übrigen Gründen, welche die Gemüther der Menschen zur
Befolgung dieser Gebote antreiben können, ist jener am wirksamsten, dass Gott
der Urheber dieses Gesetzes sey. Denn obschon der Apostel sagt, es sey durch die Engel gegeben, [Galat. 3,19] so kann doch Niemand daran zweifeln, dass
Gott selbst der Urheber des Gesetzes sey; wovon nicht blos die Worte des
Gesetzgebers selbst, welche kurz nachher werden ausgelegt werden, ein
hinlänglich deutliches Zeugniss ablegen, sondern auch fast unzählige
Schriftstellen, die den Seelsorgern allenthalben entgegenkommen.
II. Es gibt Niemanden, der nicht fühlte, es sey ihm von Gott ein
Gesetz in die Seele gegeben, wodurch das Gute vom Bösen, das Anständige vom
Schändlichen, das Gerechte vom Ungerechten unterscheiden kann; und da der Inhalt
und die Beschaffenheit dieses Gesetzes von dem geschriebenen nicht verschieden
ist, wer sollte zu läugnen wagen, Gott sey der Urheber, wie des innerlichen, so
auch des geschriebenen Gesetzes.
III. Daher muss gelehret werden, dieses göttliche Licht, das durch
die verderbten Sitten und durch die fortwährende Lasterhaftigkeit beinahe ganz
verdunkelt war, habe Gott, da er dem Moses das Gesetz gab, vielmehr glänzender
gemacht, als ein neues gegeben, damit, wenn das Volk hört, das Gesetz Mosis sey
aufgehoben, es nicht vielleicht dafür halte, nicht schuldig zu seyn, diese
Gesetze zu halten. Denn es ist gewiss, dass man diesen Geboten nicht desswegen
gehorchen müsse, weil sie durch Moses gegeben sind, sondern weil sie allen
Menschen angeboren, und durch Christus den Herrn erklärt und bestätigt worden
sind.
IV. Wie das Volk zur Beobachtung des Gesetzes vom Gesetzgeber selbst aufgemuntert werden könne.
Sehr viel wird beitragen, und zur Ueberzeugung ein grosses Gewicht
haben, jener Gedanke, dass es Gott sey, der das Gesetz gegeben hat; denn an
seiner Weisheit und Gerechtigkeit können wir nicht zweifeln, und seiner
unendlichen Kraft und Macht nicht entgehen. Als daher Gott durch die Propheten
befahl, das Gesetz zu beobachten, sprach er, dass er der Herr und Gott sey, und
auch im Eingange des Dekaloges: Ich bin der Herr, dein Gott;
[Exod. 20,2] und anderswo: Wenn ich der Herr bin, wo ist die Furcht vor mir? [Malach. 1,6]
V. Welche grosse Wohlthat es sey, von Gott das Gesetz erhalten zu haben.
Es wird aber nicht blos die Gemüther der Gläubigen aufmuntern, die
Gebote Gottes zu halten, sondern auch zur Danksagung aneifern, dass Gott seinen
Willen, der unser Heil enthält, geoffenbaret hat.
Daher spricht die heil. Schrift nicht blos an einer Stelle diese so
grosse Wohlthat aus, und ermahnet das Volk, seine Würde und die Güte des Herrn
zu erkennen, wie im Deuteronomium: Das ist eure Weisheit und
Einsicht vor den Völkern, dass sie, wenn alle diesen Geboten gehorchen,
sprechen: Siehe ein weises und verständiges Volk, eine grosse Nation;
[Deut. 4,6] und ferner im Psalme: Er that nicht so jeder Nation und offenbarte ihnen nicht seine
Urtheile. [Ps. 147,20]
VI. Warum Gott einst den Israeliten sein Gesetz mit grosser Majestät geben wollte.
Wenn der Seelsorger ferner die Beschaffenheit des gegebenen
Gesetzes aus der heil. Schrift dargegestellt hat, so werden die Gläubigen leicht
einsehen, wie heilig und demüthig man das von Gott erhaltene Gesetz ehren müsse;
denn drei Tage, ehevor das Gesetz gegeben wurde [Exod. 19] , ist auf Befehl Gottes Allen aufgetragen
worden, ihre Kleider zu waschen, die Weiber nicht zu berühren, auf dass sie
heiliger wären und bereiter, das Gesetz zu empfangen, und am dritten Tage
sollten sie gegenwärtig seyn. Als sie dann zum Berge hingeführt wurden, von dem
herab ihnen Gott durch Moses das Gesetz geben wollte, ist dem Moses allein
befohlen worden, den Berg zu besteigen; dahin kam nun Gott in grösster Majestät,
umgab den Platz mit Donnern, Blitzen, Feuer und dichten Wolken, begann mit Moses
zu sprechen, und gab ihm die Gesetze; diess that die göttliche Weisheit aus
keiner andern Ursache, als um uns zu ermahnen, dass man mit keuschem und
demüthigem Herzen das Gesetz aufnehmen müsse; würden wir aber die Gebote
vernachlässigen, so stehen uns die von der göttlichen Gerechtigkeit angeordneten
Strafen bevor.
VII. Wie das mit solchem Schrecken gegebene Gesetz von den Menschen erfüllt werden könne; und dass nichts leichtter sey, als die Liebe.
1) Das Gesetz kann nicht blos beobachtet werden, sondern es ist sogar
leicht zIu beobachten. 2) Die Kraft das Gesetz zu vollziehen, wird auch dem
schwachen Menschen durch den heiligen Geist verliehen.
I. Der Seelsorger soll zeigen, die Gebote des Gesetzes seyen nicht
einmal schwer, was er auf diese einzige Weise nach dem heil. Augustin lehren
kann, da er sagt: „Wie, ich bitte dich, kann man sagen, es sey dem Menschen
unmöglich, zu lieben; zu lieben, sage ich, den wohlthätigen Schöpfer, den
liebevollsten Vater, und hernach auch sein eigenes Fleisch in seinem
Mitmenschen?" Wer aber liebt,... hat das Gesetz erfüllt.
[Röm. 13,8] Daher spricht der Apostel
Johannes [I. Joa. 5,3]
deutlich, die Gebote Gottes seyen nicht schwer, denn, es hätte, nach dem
Ausspruche des heil. Bernhard, nichts gerechteres, nichts erhabeneres, nichts
fruchtbringenderes vom Menschen verlangt werden können. Desshalb staunte der
heil. Augustin über Gottes unendliche Güte und redet Gott selbst so an: „Was ist
der Mensch, dass du von ihm willst geliebt werden? Und dass du, wenn er es nicht
thut, ungeheuere Strafen androhest? Ist nicht schon diese Strafe gross genug,
wenn ich dich nicht liebe?"
II. Wenn Jemand die Entschuldigung vorbringen möchte, die Schwäche
der Natur hindere ihn, Gott zu lieben, soll gelehrt werden, Gott, der die Liebe
gefordert hat, pflanze die Kraft der Liebe durch den Geist in unsere Herzen;
[Röm. 5,5] denn dieser
gute Geist werde vom himmlischen Vater denen verliehen, die ihn . . darum bitten
[Luc. 11,13] , wie mit
Recht der heil. Augustin gebetet hat: „Verleihe, was du befiehlst, und befiehl,
was du willst." Da wir also Gottes Beistand haben, besonders durch den Tod Jesu
Christi, durch welchen der Fürst dieser Welt ist hinausgeworfen worden, so ist
kein Grund vorhanden, dass sich Jemand durch die Schwierigkeit der Sache
abschrecken lassen soll; denn dem Liebenden ist nichts beschwerlich.
VIII. Sind alle Menschen durchaus zur Haltung des Gesetzes verbunden?
1) Alle Menschen sind scluildig, das Gesetz zu halten. 2) Eine
entgegengesetzte Ketzerei wird kurz widerlegt. 3) Was ein in Christo neues
Geschöpf sey. Wie der Mensch auch ohne Werke gerechtfertigt werden könne.
I. Zur Ueberzeugung in dieser Sache wird sehr viel die Erklärung
beitragen, dass man dem Gesetze nothwendig gehorsam seyn müsse, besonders da es
zu unsern Zeiten nicht an Menschen fehlt, die sich nicht scheuten, gottloser
Weise und zu ihrem eigenen grossen Unglücke, zu behaupten, das Gesetz, es sey
nun schwer oder leicht, sey zur Seligkeit keineswegs nothwendig.
II. Diese schändliche und gottlose Meinung soll der Seelsorger
durch die Zeugnisse der heiligen Schrift widerlegen, und vorzüglich durch den
Apostel, durch dessen Autorität sie ihre Gottlosigkeit zu vertheidigen suchen.
Was sagt also der Apostel: Nicht die Vorhaut, nicht die
Beschneidung sey etwas, sondern die Beobachtung der zehn Gebote Gottes.
[I. Cor. 7,19]
III. Da er aber den nämlichen Ausspruch anders wo wiederholt, [Galat. 6,15] und sagt, nur ein
neues Geschöpf in Christo gelte etwas, so erkennen wir deutlich, dass er den ein
neues Geschöpf in Christo nenne, der die Gebote Gottes hält. Denn der, welcher
die Gebote Gottes hat, und sie hält, liebt Gott, wie der Herr selbst bei
Johannes bezeugt: Wenn mich Jemand liebt, wird er meine
Gebote halten. [Joh. 14,21] Obschon aber der
Mensch gerechtfertigt, und aus einem Gottlosen ein Frommer werden kann, ehvor er
alle Gebote des Gesetzes durch äusserliche Handlungen erfüllt, so ist es doch
nicht möglich, dass der, welcher seinem Alter gemäss den Gebrauch der Vernunft
hat, aus einem Gottlosen ein Frommer werde, wenn er nicht im Herzen bereit ist,
alle Gebote Gottes zu beobachten.
IX. Welche Früchte jene erlangen, die das göttliche Gesetz beobachten.
I. Damit endlich der Seelsorger nichts übergehe, wodurch das
gläubige Volk zur Beobachtung des Gesetzes angetrieben werden kann, so soll er
zeigen, wie reichlich und lieblich seine Früchte seyen. Diess kann er leicht aus
dem Psalme XVIII. beweisen; denn in [Ps. 18,8] demselben wird das Lob des Gesetzes Gottes
besungen, wovon bei weitem das grösste darin besteht, dass er Gottes
Herrlichkeit und Majestät in ein helleres Licht stellt, als es selbst die
Himmelskörper durch ihre Schönheit und Ordnung vermögen: die, gleichwie sie
alle, auch die rohesten Nationen zu ihrer Bewunderung hinreissen, dadurch auch
bewirken, dass sie in die Herrlichkeit, Weisheit und Macht des Schöpfers und
Werkmeisters aller Dinge anerkennen. Das Gesetz des Herrn bekehrt die Seelen zu
Gott, indem wir nämlich seine Wege und den heiligsten Willen Gottes durch das
Gesetz kennen lernen, wenden wir unsere Schritte auf die Wege des Herrn. Und
weil nur jene, die Gott fürchten, wahrhaft weise sind, so verleiht er dem
Gesetze, die Weisheit den Kleinen mitzutheilen. Daher werden die, welche das
Gesetz beobachten, mit wahrer Freude und mit der Erkenntniss der göttlichen
Geheimnisse, ferner mit unendlicher Lust und Belohnung, sowohl in diesem Leben,
als auch im jenseitigen überhäuft werden.
X. Da alles den Willen Gottes vollzieht, so wird gezeigt, es sey sehr billig, dass auch der Mensch jenen Willen befolge.
Aber nicht sowohl unsers Vortheils wegen, sondern wegen Gott müssen
wir das Gesetz beobachten, da er im Gesetze dem Menschengeschlechte seinen
Willen geoffenbaret hat; und da die übrigen Geschöpfe ihn vollziehen, so ist es
um so mehr billig, dass auch der Mensch ihn befolge. Auch darf nicht mit
Stillschweigen übergangen werden, Gott habe besonders darin seine Liebe und die
unendliche Fülle seiner Güte gegen uns gezeigt, dass er, da er uns ohne alle
Belohnung hätte zwingen können, seiner Herrlichkeit zu dienen, doch seinen Ruhm
mit unserm Vortheile verband, so dass jenes, was dem Menschen nützlich ist,
ebenso Gott zur Verherrlichung gereichte.
Weil nun diess das grösste und vortrefflichste ist, so soll der
Seelsorger lehren, wie auch der Prophet zuletzt ausgesprochen hat: In Beobachtung der Gesetze liege eine vielfache Vergeltung.
[Ps. 18,12] Denn es sind uns jene Segnungen
verheissen, welche sich mehr auf irdische Glückseligkeit zu beziehen scheinen,
dass wir gesegnet seyen in der Stadt, gesegnet auf dem Felde, [Deut. 28,13] sondem es ist ein
reichlicher Lohn im Himmel, und ein gutes Maass, [Matth. 5,12] ein volles,
zusammengerütteltes, und überfliessendes vorgestellt [Luc. 6,38] , das wir durch
fromme und gerechte Handlungen durch die Hülfe der göttlichen Barmherzigkeit
verdienen.
Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Lande Aegypten
geführt hat, aus dem Hause der Knechtschaft. Du sollst keine andern Götter neben
mir haben. Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen u. s. f.
[Deut. 5,6]
XI. Wie das Gesetz Mosis die Menschen aller Zeiten verbindlich mache, und bei welcher Veranlassung es den Israeliten verkündet worden sey.
I. Obschon dieses Gesetz den Juden vom Herrn auf dem Berge gegeben
worden ist, so wollte doch Gott, dass ihm desswegen alle Menschen beständig
gehorchen sollen, weil es von der Natur schon lange vorher allen Gemüthern
eingeprägt und eingeschrieben war; und es wird sehr nützlich seyn, jene Worte,
mit denen es durch den Diener und Dollmetscher Moses den Hebräern ist verkündet
worden, und die Geschichte des Volkes Israel, welche voll von Geheimnissen ist,
sorgfältig zu erklären:
II. Zuerst wird er darstellen, aus allen Nationen der Erde habe
Gott die einzige auserwählt, welche vom Abraham abstammte; den er als einen
Fremdling im Lande Canaan wohnen liess; und obschon er ihm dessen Besitz
versprochen hatte, so wanderten doch dieser und seine Nachkommen länger als
vierhundert Jahre umher, ehvor sie das verheissene Land in Besitz nahmen; und
auf dieser ihrer Wanderschaft beschützte er sie immerdar durch seine Vorsehung.
Sie wandelten von Volk zu Volk, von Reich zu Reich,
[Ps. 104,15] aber nirgends liess er ihnen ein
Leid geschehen; vielmehr trat er strafend gegen die Könige auf. Ehvor sie aber
nach Aegypten hinabzogen, sandte er ihnen einen Mann voraus, durch dessen
Vorsorge sie und die Aegyptier vor Hungersnoth bewahrt wurden. In Aegypten umfasste er sie mit solcher Güte, dass sie ohnerachtet des
Widerstrebens und des auf ihren Untergang sinnenden Pharao, sich wunderbar
vermehrten; und als sie tief gekränkt, und gleich Sklaven aufs härteste
behandelt wurden, erweckte er ihnen den Moses zum Anführer, der sie mit
mächtiger Hand fortführte. Insbesondere dieser Befreiung gedankt der Herr im
Anfange des Gesetzes mit folgenden Worten: Ich bin der Herr,
dein Gott, der dich aus dem Lande Aegypten, aus dem Hause der Sklaverei, führte.
[Exod. 20,2]
XII. Warum die Juden von Gott zu seinem Volke erwählt wurden.
Hiebei muss der Seelsorger vorzüglich das bemerken: Eine Nation sei
aus allen von Gott auserwählt worden, die er sein Volk nannte, und dem er sich
erkennen und verehren liess; nicht etwa weil es die übrigen Völker an
Gerechtigkeit oder Anzahl übertraf, wie Gott die Hebräer erinnert, sondern weil
es Gott so gefallen hat, vielmehr ein kleines und armes Volk, zu vermehren und
zu bereichern [Deut. 7,7]
, damit dadurch seine Macht und Güte bei Allen bekannter und glänzender
würde. Da also der Zustand jener Menschen so beschaffen war, so vereinigte sich Gott mit ihnen, und liebte sie, [Deut. 10,15] so dass er sich, obschon er der Herr des
Himmels und der Erde ist, nicht schämte, ihr Gott genannt zu werden, wodurch er
die übrigen Nationen zur Nacheiferung aufrief, damit, wenn sie die
Glückseligkeit der Israeliten sahen, alle Menschen sich zum Dienste des wahren
Gottes wenden sollten; wie auch Paulus bezeugt [Röm. 11,14] , er reize sein Fleisch zur Nacheiferung
durch Hinweisung auf die Glückseligkeit der Völker, und auf die wahre
Erkenntniss Gottes, in der er sie unterrichtet hatte.
XIII. Warum die Hebräer viel und lange durch Leiden geprüft wurden, ehe sie das Gesetz erhielten.
Hierauf soll man die Gläubigen belehren, Gott habe die hebräischen
Väter lange herumwandern, er habe auch ihre Nachkommen durch die härteste
Sklaverei drücken und drängen lassen, desswegen, damit wir belehrt würden,
Freunde Gottes werden nur die Feinde der Welt und die Fremdlinge auf Erden; und
daher werde man leichter in Gottes Freundschaft aufgenommen, wenn man durchaus
nichts mit der Welt gemein habe; aber auch desswegen, dass wir, zur Verehrung
Gottes gelangt, einsehen sollten, um wie viel glückseliger jene sind, welche
Gott, als die, welche der Welt dienen, worüber uns die Schrift ermahnet, indem
sie sagt: Jedoch sie sollen ihm dienen, dass den Unterschied
meines Dienstes, und des Dienstes der Reiche der Erde inne werden. [II. Par. 12,8]
Ferner wird er erklären, nach mehr als vierhundert Jahren habe Gott
seine Verheissung erfüllt, damit jenes Volk durch Glauben und Hoffnung genähret
wurde. Denn Gott will, dass seine Zöglinge immer von ihm abhängig seyen, und auf
seine Güte ihre Hoffnung setzen, wie in der Erläuterung des ersten Gebotes
dargelegt werden wird.
XIV. Warum das Gesetz an einem solchen Orte und zu solcher Zeit gegeben wurde.
Endlich wird der Seelsorger den Ort und die Zeit bemerken, wo das
Volk Israel dieses Gesetz von Gott empfing; nämlich, nachdem es aus Aegypten
geführt, in die Wüste kam, damit es durch die Erinnerung an die neuerlich
empfangene Wohlthat angelockt, und durch die Unwirthsamkeit des Ortes, in dem es
sich befand, erschreckt, zur Annahme des Gesetzes tauglicher gemacht wurde. Denn
die Menschen werden jenen am meisten ergeben, deren Wohlthätigkeit sie erfahren
haben, und sie nehmen zum Schutze Gottes ihre Zuflucht, wenn sie sich alles
menschlichen Beistandes beraubt sehen. Hieraus kann man erkennen, dass die
Gläubigen zur Aufnahme der himmlischen Lehre desto geneigter seyn werden, je
mehr sie sich den Lockungen der Welt und den Vergnügungen des Fleisches entzogen
haben; wie der Prophet geschrieben hat: Wen wird er in der
Weisheit unterrichten? und wem wird er das Gehörte verstehen lassen? Den von der
Milch Entwöhnten, den von der Brust Hinweggenommenen. [Isai. 28,9]
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