Mittwoch, 29. Mai 2013

Der Englische Gruss (hl. Thomas von Aquin)

Opusculum 8: expositio Salutationis Angelicae 

(aus dem Büchlein Katechismus des heiligen Kirchenlehrers Thomas v. Aquin)


Der englische Gruß

Einleitung

Quelle: Missale romanum ex decreto sacrosancti Concilii tridentini restitutum: s. 
Pii v. pontificis maximi jussu editum, Clementis VIII. et Urbani VIII. auctoritate
 recognitum
Der englische Gruss enthält drei Teile: Erstlich die Worte des Engels, nämlich: "Gegrüsst seist du voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern"; dann die Worte der Elisabeth, der Muttter des Täufers Johannes: " Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes; endlich was die Kirche beigefügt hat, nämlich das Wort "Maria". Denn der Engel hat nicht gesagt: "Gegrüsst seist du Maria", sondern "Gegrüsst seist du Gnadenvolle". Aber diese Einfügung entspricht, wie wir später sehen werden, durchaus dem Sinne des Engelsgrusses.

Sei gegrüsst

Was nun den ersten Teil dieses Grusses betrifft, so ist dabei zu beachten, dass es sonst vor Alters für eine ausserordentliche Auszeichnung gehalten wurde, wenn den Menschen Engel erschienen; und ebenso, dass man es den Menschen zum höchsten Lobe anrechnete, wenn sie den Engeln Ehrfurcht bezeigten. Darum wird Abraham gelobt, weil er die Engel gastfreundlich aufgenommen und ihnen Eehrfurcht erwiesen hat. Dass aber ein Engel einem Menschen Ehrfurcht erwies, das war etwas Unerhörtes, bis der Erzengel Gabriel die allerseligste Jungfrau grüsste,

indem er erbietig zu ihr sprach: "Ave!" Dass aber von Alters nicht die Menschen von den Engeln, sondern die Engel von den Menschen verehrt wurden, hat seinen Grund darin, dass die Engel höhere Wesen sind, als die Menschen, und zwar in dreifacher Hinsicht:
1. Hinsichtlich der Würde; die Engel nämlich besitzen eine rein geistliche Natur: "Geister hat er zu seinen Boten gemacht" (Ps.103.4); die Menschen dagegen eine sterbliche. Darum sprach Abraham: "Ich will reden zu meinem Herrn, wiewohl ich Staub und Asche bin".(1 Mos. 18.27) Es war daher nicht geziemend, dass ein geistiges und unveränderliches Geschöpf einem vergänglichen, nämlich dem Menschen, Ehrerbietung erwies.
2. Wegen der Gottesnähe. -- Denn die Engel sind gleichsam Gottes Hausfreunde, da sie unmittelbar vor seinem Anlitz stehen. "Tausendmal Tausende dienten ihm und zehntausendmal Hunderdtausende umstanden ihn".(Dan. 7.10.)  Die Menschen dagegen sind gleichsam Fremdlinge Gottes durch die Sünde von ihm entfernt. "Fliehend habe ich mich entfernt". (Ps. 54.8.) Deshalb gebürt es sich, dass der Mensch den Engel verrehre, als einen Freund und Hausgenossen des Königs.
3. Wegen der Fülle des göttlichen Gnadenlichtes: denn die Engel nehmen an diesem göttlichen Lichte in vollstem Masse Teil . "Ist eine Zahl voll seiner Heerscharen? Und über welchen steigt nicht empor sein Licht?". Darum erscheinen auch die Engel immer von Licht umflossen. Die Menschen dagegen nehmen am Lichte der Gnade nur in beschränktem Masse teil, so dass ihm gleichsam etwas dunkel beigemischt ist. Es war daher nicht geziemend, dass die Engel einem Menschen Ehrerbietung erwiessen, bis ein mit der menschlichen Natur bekleidetes Wesen gefunden wurde, das in dieser dreifachen Hinsicht mit noch höheren Vorzügen ausgestattet war, als selbst die Engel. Und ein solches Wesen war die allerseligste Jungfrau. Deshalb, um diesen ihren dreifachen Vorzug vor den Engeln anzudeuten, wollte der Engel ihr seine Ehrfurcht bezeigen; und deshalb sprach er zu ihr: "Sei gegrüsst". So übertraf also die allerseligste Jungfrau die Engel in diesen drei Punkten, -- und zwar erstens in Bezug auf die Fülle der Gnade, die ihr in reichlicherem Masse als irgendeinem Engel zuteil geworden. Um nun dieses anzudeuten und sie dafür zu ehren, fügte der Engel bei:

Du bist voll der Gnade

Es will das soviel sagen, als wenn er gesagt hätte: "Ich bezeige dir deswegen meine Ehrfurcht, weil du an Fülle der Gnade mich übertriffst". Die allerseligste Jungfrau wird aber in dreifacher Beziehung "voll der Gnade" genannt.
1. In Beziehung auf ihre Seele, welche die ganze Fülle der Gnaden besass. -- Die Gnade Gottes wird nämlich zu einem doppelten Zwecke verliehen, nämlich um das Gute zu tun und das Böse zu meiden. Und in diesen beiden Beziehungen besass die seligste Jungfrau die vollkommenste Gnade. Denn erstens hat sie jede Sünde mehr gemieden, als irgendein Heiliger nach Christus ... Die Sünde ist nämlich entweder eine schwere oder eine lässliche, und von diesen beiden war sie frei. Darum sagt die Heilige Schrift von ihr: "Du bist ganz schön, meine Freundin, und keine Makel ist an dir." (Cantic. 4.7.) Und der hl. Augustinus schreibt in seinem Buch von der Natur und Gnade: "Wenn alle Heiligen in ihrem Leben befragt worden wären, ob sie ohne sünde seien, so würden sie einstimmig geantwortet haben: "Wenn wir sagten, wir haben keine Sünde, so betrügten wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns."(Joh. 1.8) "Hievon nehme ich aber aus die heilige Jungfrau, welche ich, wenn von der Sünde die Rede ist, wegen der Ehre des Herrn nicht einmal erwähnt wissen will. Denn wir wissen, dass derjenigen, die den sündenlosen Heiland empfangen und gebären sollte, zum allseitigen Siege über alles böse ein grüsseres Mass von Gnaden zugeteilt worden (als irgendeinem anderen Geschöpfe)"... -- Maria hat aber zweitens auch alle Tugenden (gleichermassen) geübt, die anderen Heiligen dagegen besonders irgend eine einzelne; so der eine die Demut, ein anderer die Keuschheit, ein dritter die Barmherzigkeit. Und so werden sie mehr als Vorbilder einzelner Tugenden uns vorgestellt; wie zum Beispiel der hl. Nikolaus, als Vorbild der Barmherzigkeit usf. Die allerseligste Jungfrau dagegen ist ein Vorbild aller Tugenden; sie ist ein Muster der Demut: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn",(Luc. 1. 38.) und "Er hat angesehen die Niedrigkeit seiner Magd", (Luc. 1.48.) das Urbild der Keuschheit, "denn ich erkenne keinen Mann", und so betreffs jeder anderen Tugend, wie leicht nachgewiesen werden könnte. -- So ist sie also voll der Gnade sowohl in Bezug aus die Ausübung des Guten als die Vermeidung des Bösen. Sie ist aber auch:
2. Voll der Gnade, weil die Gnadenfülle ihrer Seele auch auf ihren Leib überströmte. -- Es ist schon etwas Grosses an den Heiligen, dass sie so viel Gnade besassen, dass ihre Seele geheiligt wurde. Die Seele der seligsten Jungfrau aber war so von Gnade erfüllt, dass diese auch auf den Leib überströmte und ihn zur Empfängnis des Sohnes Gottes würdig machte. Darum schrieb Hugo von St. Viktor: "Weil die Liebe des Heiligen Geistes ihr Herz ganz durchglühte, so wirkte sie in ihrem Leibe das Wunder der Menschwerdung des Sohnes Gottes." "Denn das Heilige, das aus dir wird geboren werden, wird Sohn Gottes genannt werden." (Luc. 1.35.)
3. Endlich wird Maria "die Gnadenvolle" genannt, wegen dem Überströmen ihrer Gnade auf alle Menschen. --Denn wiederum ist es schon etwas Grosses an jedem Heiligen, wenn er so viel Gnade besitzt, dass sie sogar noch zur Heiligung vieler anderer hinreicht. Würde er aber so viel besitzen, dass sie zur Heiligung aller Menschen auf der ganzen Welt hinreichte, so wäre das wohl das Höchste. Dies ist aber der Fall bei Christus und bei der heiligsten Jungfrau. Denn von dieser glorreichen Jungfrau kannst du in jeder Gefahr Hilfe erlangen. Deshalb heisst es von ihr im Hohen Lied: "Tausend Schilde, d. i. Heilmittel gegen die Sünde, finden sich in ihr" (Cantic. 4.4.) usf. -- Ebenso kannst du bei der Ausübung jeder Art guter Werke sicher auf ihren Beistand rechnen. Und darum sagt sie von sich selbst: "Bei mir ist jegliche Hoffnung des Lebens und der Tugend". (Eccli. 24.) So ist sie also voll der Gnade und überstrahlt die Engel vorab durch die Gnadenfülle. (oben Nr.3) Darum trägt sie schon deswegen passend den Namen Maria, was soviel bedeutet, als die für sich "Erleuchtete", weshalb es bei Isaias von ihr heisst: "Er wird mit Lichtglanz erfüllen deine Seele"; (oben Nr. 2) und auch "die Erleuchterin der anderen", nämlich aller anderen auf der Welt, weshalb sie mit der Sonne und dem Monde verglichen wird. Auch dieses deutet der Engel an, mit den Worten:

Der Herr ist mit dir


Es wollen diese Worte so viel sagen als: "Ich erweise dir deshalb Ehre, weil du Gott näher stehst als ich. Denn der Herr ist mit dir." Der "Herr" sagt er, d. i. der Vater in und mit dem Sohne, eine Austeichnung, welche weder einem Engel noch irgendeinem anderen Geschöpfe je zuteil geworden. "Denn das Heilige, das aus dir geboren werden wird, wird der Sohn Gottes genannt werden". (Luc. 1.35.) Also Gottes Sohn im Schosse der Jungfrau! "Frohlocket und jauchzet, ihr Sionsbewohner, denn erhaben ist in eurer Mitte der Heilige Israels".(Isai. 12.6.) So ist der Herr mit der allerseligsten Jungfrau in anderer Weise, als mit den Engeln; denn mit ihr ist er als Sohn, mit den Engeln als Herr. Gott der Heilige Geist wohnt in ihr, wie in einem Tempel. Darum wird sie auch "Tempel des Herrn", "Heiligtum des Heiligen Geistes" genannt, weil sie vom Heiligen Geist empfangen hat. "Der Heilige Geist wird über dichkommen". (Luc.1.35.) Es steht sonach die allerseligste Jungfrau in einem innigeren und vertrauteren Verhältnis zu Gott, als irgend ein Engel, da Gott der Vater, Gott der Sohn und Gott der Heilige Geist, also die ganze Heilige Dreifaltigkeit mit und in ihr ist. Darum wird von ihr gesungen: "Du bist die edle Ruhestatt der heiligen Dreifaltigkeit." Danach enthalten aber auch die Worte: "Der Herr ist mit dir", das höchste Lob, das Maria gespendet werden kann; und mit Recht bezeugt ihr deshalb der Engel seine Verehrung, da sie Mutter des Herrn ist. Wenn aber Mutter des Herrn, so dann selbst "Herrin" und mit Recht wird ihr auch deshalb wieder der Name "Maria" gegeben, der in syrischer Sprache eben nichts anderes bedeutet als "Herrin". Es überstrahlt edlich Maria drittens die Engel durch ihre Reinheit und Würde; denn sie war nicht blos selbst rein, sondern hat auch anderen die Reinheit vermittelt. Sie war nämlich ganz rein vorab von aller Schuld, da sie weder die Erbsünde noch eine schwere oder lässliche Sünde sich zuzog. Sie war aber auch rein von aller Strafe (was der Engel mit den Worten andeutete):

Du bist gebenedeit unter den Weibern


Es ist nämlich wegen der (Ur-) Sünde ein dreifacher Fluch über die Menschhheit ausgesprochen worden:
1. Der Fluch über das Weib: -- dahin lautend, dass es in Verderbnis empfangen, mit Beschwerden tragen und in Schmerzen gebären werde. Von diesem Fluche aber war Maria frei, da sie den Erlöser ohne Verderbnis empfangen, voll Tröstungen getragen und ohne Schmerzen geboren hat, nach den Worten des Propheten: "Sie sprosset und frohlocket in Freude lobsingend". (Isai.35.2.)
2. Der Fuch über den Mann, darin bestehend: dass er im Schweisse des Angesichtes sein Brot essen solle. Von diesem Fluch war Maria frei, weil sie, wie der Apostel lehrt, "die Jungfrauen frei sind von den Sorgen dieser Welt und Gott allein dienen". (1 Cor.7.)
3. Ein Fluch, der beiden Geschlechter trifft: dass sie nämlich alle in Staub zurückkehren müssen. Und auch von diesem Fluche ist Maria frei geblieben, weil sie auch ihrem Leibe nach in den Himmel aufgenommen worden ist. Denn wir glauben, dass sie nach dem Tode wieder auferweckt und in den Himmel emporgetragen worden sei. "Erhebe dich, o Herr! Zu deiner Ruhe, du und die Lade deiner Heiligung". (Ps.131.8.) So war also Maria frei von jedem Fluche; und deshalb ist sie gebenedeit unter den Weibern, weil sie allein den Fluch gehoben, den Segen gebracht und die Pforten des Paradieses geöffnet hat. Und so kommt ihr auch deswegend passend der Name Maria zu, denn es bedeutet derselbe auch "Meerstern"; wie nun die Schiffer durch den Meerstern zur himmlischen Herrlichkeit geführt.

Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes

Der  Sünder sucht bisweilen in irgendeinem Dinge ein Gut, ohne es zu erlangen, während dagegen der Gerechte dasselbe erlangt. "Aufbewahrt wird dem Gerechten die Habe des Sünders". (Proverb. 13. 22.) So streckte Eva ihre Hand aus nach der Frucht, fand aber darin nicht alles was sie suchte. Die allerseligste Jungfrau aber hat in ihrer Frucht alles gefunden, was Eva gesucht hatte. Denn Eva suchte in ihrer Frucht drei Güter.
1. Gottähnlichkeit. -- Sie suchte nämlich das, was ihr der Teufel lügnerischerweise in Aussicht gestellt hatte, nämlich, dass sie sein würden wie Götter, wissend Gutes und Böses. "Ihr werdet sein wie Götter", sprach jener Lügner. (1 Mos. 3.5.) Er hat aber gelogen, weil er ein Lügner ist und der Vater der Lüge. Denn Eva ist durch den Genuss der Frucht Gott nicht ähnlich, sonder unähnlich geworden, weil sie durch die Sünde von Gott ihrem Heil sich abgewendet hat. Darum wurde sie auch aus dem Paradies vertrieben. -- Die allerseligste Jungfrau dagegen, und nach ihr alle Christen haben dieses Gut in der Frucht ihres Leibes gefunden, da wir durch Christus mit Gott verbunden und ihm ähnlich werden. "Wenn er erschienen ist, werden wir ihm ähnlich sein". (1 Joh. 3.2.)
2. Lust.-- Es suchte nämlich Eva in ihrer Frucht auch Ergötzung, weil sie gut zum Geniessen; aber sie fand sie nicht, da sie sofort ihre Nacktheit erkannte und Schmerz empfand. In der Frucht der Jungfrau dagegen finden wir Süssigkeit und Heil. "Wer mein Fleisch isst, der hat das ewige Leben".
3. Schönheit.-- Es war die Frucht Evas schön anzuschauen. Aber schöner noch ist der Jungfrau Frucht, in welche die Engel zu schauen gelüstet. (Ps. 44.3.) "Schön bist du an Gestalt über den Menschenkindern". Seine Schönheit aber hat ihren Grund darin, dass er der Abglanz der Herrlichkeit des Vaters ist. Eva konnte also in ihrer Frucht ebensowenig finden, was sie suchte, als ein sünder in seinen Sünden. Und darum müssen wir das, was wir begehren, in der Frucht der Jungfrau suchen. Denn diese Frucht ist gesegnet von Gott, weil er sie so mit jeglicher Gnade erfüllt hat, dass sie, wenn wir sie nur treu verehren, auch uns zuteil wird."Gesegntet sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeglichem geistichen Segen in Christus". (Ephes. 1.3.) Sie (die Frucht) wird aber verehrt von den Engeln: "Die Benedeiung, und die Herrlichkeit und die Danksagung, und die Ehre, und die Macht und die Stärke unserem Gotte". (Apoc. 7.12.) Sie soll auch verehrt werden von dem Menschen: "Jede Zunge soll bekennen" usf. (Philipp. 2.11.) "Gebenedeit sei der da kommt im Namen des Herrn". (Ps.117.26) Darum ist aber auch die Jungfrau gebenedeit; aber noch mehr: "gebenedeit die Frucht ihres Leibes".